Freitag, 28. März 2014

Hinweis: "Crystal Fairy"-Kritik in der filmgazette

In der filmgazette steht jetzt meine Kritik zu "Crystal Fairy and the Magical Cactus and 2012", einem hübschen kleinen Road-Movie über einen Meskalin-Trip in Chile, das seine Geschichte etwas anders erzählt als man sie kennt, ohne das Rad neu erfinden zu müssen, und dabei auf sehr entspannte Weise zu sich findet.

Dienstag, 25. März 2014

Fünf Gründe, warum "Blue Steel" ein Meisterwerk ist.



 
1. Pistolen
Schon im Vorspann: Die Kamera gleitet im extremen Close-Up über den blauen Stahl (und was für ein stahlblau das ist!), streichelt ihn, spielt mit ihm. Der Revolver ist in diesem Film kein Freud'scher Fetisch, kein Penisersatz, kein sexualisiertes Nicht-Sexuelles. Die Schusswaffengewalt in "Blue Steel" ist sexuell. Das zu beschreiben zu versuchen, hätte keinen Sinn, weil der Film selbst es nicht beschreibt, sondern zeigt. Um die sadistische Triebabfuhr - auch und vor allem auf Seiten des Zuschauers - geht es dabei gerade nicht, sondern um eine dezidiert filmische Auseinandersetzung mit einer sehr spezifischen Psychopathologie.

2. Gesichter
Jamie Lee Curtis muss zu Beginn eigentlich nichts tun, außer stolz in ihrer neuen Uniform eine Straße entlang gehen und herzlich lachen, um den Zuschauer auf Gedeih und Verderb die restlichen 100 Minuten auf ihrer Seite zu haben. Ein guter Einstieg in einen Film, dessen Hauptschauplatz Gesichter sind. Curtis Gesicht, Ron Silvers Gesicht. Genre-Analogien (Western, Horrorfilm) drängen sich auf, führen aber wahrscheinlich ins nichts. Einen Film, der so mit Großaufnahmen arbeitet wie dieser habe ich noch nie gesehen. Punkt.



 
 
 
 
 
3. Kapitalismuskritik
Ron Silver, Broker und Killer, fliegt in einer Szene im Hubschrauber mit Curtis über Manhattan. Die Leute da unten, sagt er, sehen von hier oben aus wie Punkte, schrecklich klein und unwichtig. So wie die Menschen in seinem Blick aus dem Helikopter zu leuchtenden Punkten in der Nacht werden, zu kleinen Lichtern, die er nach belieben auslöschen kann, so werden in seinem Job im Stock Exchange menschliche Schicksale zu Zahlenreihen, die über die Bildschirme flimmern. Grimmiger, vernichtender kann man vom neoliberal entfesselten Finanzkapitalismus eigentlich kaum erzählen. (Auch die Entfesselung ist in dieser Szene, in der Art, wie die Kamera über die Lichter der nächtlichen Skyline schwebt sehr wörtlich zu nehmen, oder doch: bildlich.) Eigentlich: denn auch hier geht es Bigelow nicht ums Denunzieren, sondern ums Verstehen.

4. Straßen
Die Kamera taucht durch das Lichtermeer der nächtlichen Straßen von Manhattan. "Blue Steel" spielt in einem Neon-Zwielicht, in dem die Menschen oft nur noch Schatten sind. Eine Welt die beständig zerfällt, sich auflöst, zerfließt im Regenschleier auf den Autoscheiben. Nur die Kadrierung hält sie noch - notdürftig - zusammen.

5. Gewalt
Aus der extremen Stilisierung, aus der albtraumhaften Atmosphäre reißen einen die eruptiven Entladungen der Gewalt. Sie werfen einen wieder ganz zurück auf sich selbst, auf den eigenen Körper. Wenn geschossen wird und das Blut spritzt ist "Blue Steel" auf einmal ganz Körperkino, das durch Mark und Bein (oder auch: Arm) geht.  

Hinweis: Neues von mir in der filmgazette

Mein Text zum schönen My Sweet Pepper Land steht ja schon seit einiger Zeit hier im Blog, seit gestern nun auch in etwas überarbeiteter Form in der filmgazette.
Dort kann man nun auch meine ausführliche Kritik zu Paul Schraders The Canyons lesen. Laut Drehbuch-Autor Bret Easton Ellis "ein kalter toter Film über kalte tote Menschen", den ich als großer Schrader- und riesiger Ellis-Fan natürlich nur empfehlen kann - schon deshalb weil nach all den - mehr oder minder - misslungenen Ellis-Adaptionen, man hier wohl zum ersten Mal dem Werk dieses Schriftstellers filmisch gerecht wird.  

Mittwoch, 19. März 2014

Hinweis: Kritik zu "Mein letztes Rennen" in der filmgazette

Für die filmgazette habe ich Mein letztes Rennen besprochen, den neuen Film mit Dieter Hallervorden. Ein Gedanke, der im Text nur implizit vorkommt: Wie sehr sich dieser Film doch durch und durch in die Fünfziger Jahre-BRD zurücksehnt, die wohl kaum von ungefähr im Vorspann zum goldenen Zeitalter stilisiert werden. Didi bringt uns Opas Kino zurück. Verdrängungskultur inklusive!

Sonntag, 16. März 2014

Kalter Frühling (Dominik Graf, Deutschland 2004)


Der Film endet so, wie er angefangen hat: Mit einem Familienfest im Hause Berger. Jedoch werden sich die Hierarchien, die innerfamiliären Machtverhältnisse entschieden verändert haben. Um diese Verschiebungen, die (immer wieder durchaus radikalfeministisch lesbare) Ermächtigung einer jungen Frau innerhalb eines sozialen Gefüges, in dem sie zu Beginn kaum mehr ist als das ewige Sorgenkind, wird es gegangen sein in den neunzig Minuten zwischen Familienfest und Familienfest.

Auf dem Familienfest zu Beginn wird der 22-jährigen Sylvia (Jessica Schwarz) eröffnet, dass nicht sie, wie ihr Leben lang angenommen, sondern ihre Cousine Manuela (Tanja Gutman) die väterliche Firma übernehmen soll. Eine Ankündigung, die alte Wunden aufklaffen lässt. Sylvia rebelliert. Auf einer Party lernt sie den mit dubiosen Geschäften sein Geld verdienenden Rico kennen (wunderbar charismatisch am Klischee des herzenbrechenden Gangsters vorbeispielend: Misel Maticevic).

Nach einer kurzen Affäre macht er kühl und einsilbig mit ihr Schluss. Wenig später erfährt sie, dass sie Syphilis hat. Mit ihren hilflosen Eltern, die sich schmerzlich in eine Zeit zehn Jahre zuvor zurück versetzt fühlen, als ihnen ihre Tochter während einer schweren Krise schon einmal komplett zu entgleiten drohte, überwirft sie sich bald ganz. Sie drehen ihr den Geldhahn zu, kündigen ihre Wohnung. Sylvia lernt Ben Lüders (Matthias Schweighöfer) kennen. Sie zieht zu ihm. Hatte Ben jedoch schon zu Beginn eine auffällige Affinität zum morgendlichen Biertrinken, entdeckt sie bald im Bad eine versteckte Crack-Pfeife. Sie verlässt ihn, ist nun ohne Bleibe und prostituiert sich. Wer aber glaubt, der Film steuere auf die Endstation Straßenstrich zu, der kennt Sylvia Berger und Dominik Graf schlecht.

Die Inszenierung dieses TV-Thrillers von 2004 wirkt für Graf-Verhältnisse, etwa im Vergleich zu Der Skorpion, Die Freunde der Freunde oder Eine Stadt wird erpresst beinahe konventionell. Zwar gibt es den einen oder anderen gewagten Zoom, wird der eine oder andere Dialog in eleganten Schwenks aufgelöst. Es gibt, wie in vielen Filmen des Regisseurs, die fulminante Disko-Szene, in dem sich die Kamera ganz dem Rausch der in rotes Licht getauchten Körper und Gesichter hingibt und der Blaustich der stylisch gefilmten Kölner Straßen ist bisweilen beträchtlich. In erster Linie aber ist der Exzess in Kalter Frühling keiner der Form, sondern einer des Inhalts.

Die Unterkühltheit, mit der Graf von dysfunktionalen Familien, Seitensprüngen, Betrug, harten Drogen und Sexarbeit erzählt, wirkt gegenüber der didaktischen Emotionalität mit der solche Themen gerne im Film (zumal: im Fernsehfilm) verhandelt werden, wie von einem anderen Stern.

Umso mehr passt diese Kälte zur Entwicklung der Protagonistin, die vom nach außen hin toughen, aber eigentlich ziemlich hilflosen Mädchen zu einer Art Racheengel im Business-Dress wird. Immer skrupelloser reißt sie alle Fäden an sich. Im letzten Drittel gehört der Film ganz und gar ihr. Sie führt alle Handlungsstränge so zusammen, dass sie zu ihrem Vorteil gereichen. In der Art, wie dieses gründlich vom Kopf auf die Füße gestellte Coming-of-Age zelebriert wird, liegt schon ein gewisser Sadismus.

Jedoch bleibt gerade der Loser Ben der Stachel im Fleisch ihrer neu erworbenen gesellschaftsfähigen Asozialität. Ist die letzte Einstellung, die Tochter im Arm des Vaters, ein Bruch? Wird der kalte Frühling hier warm? Oder ist das nicht viel eher der konsequente Schluss einer radikal zu Ende gedachten weiblich-ödipalen Ermächtigungsphantasie?

 

Montag, 10. März 2014

Hinweis: Alejandro Jodorowsky-Text in der filmgazette

Für die filmgazette habe ich einen Text über die kürzlich bei Bildstörung erschienene DVD-Box mit den ersten drei Filmen von Alejandro Jodorowsky geschrieben.


 

Sonntag, 9. März 2014

De vierde man (Paul Verhoeven, Niederlande 1983)

Der vierte Mann ist, so suggeriert es die Titeleinblendung, der hölzerne Jesus am Kreuz. De vierde man ist absolut unverkennbar ein Paul Verhoeven-Film. Aber von der ersten Einstellung an, die eine Spinne zeigt, die eine Fliege in ihrem Netz gefangen hat, einer, der die gängigen Themen um Sex, Gewalt und Verfall - nicht zuletzt: den Verfall (oder auch: Zerfall) maskuliner (sexueller) Identität - und deren radikale Ästhetisierung in einen denkbar kruden, eher anti- als unsubtilen Symbolismus einbindet. Verhoeven führt in seinem sechsten - und letzten niederländischen Film, bevor er in die USA ging - fort, was er in den Vorgängern begann, und wandelt dabei zugleich auf den Spuren eines Ken Russell.

Nach den Vorspann-Bildern von der Spinne und Jesus und der Spinne, die über Jesus Kopf krabbelt, erwacht der Schriftsteller Gerard Reve (Jeroen Krabbé) in seinem Bett. Stark zitternd schleppt er sich die Treppe hinab durch ein Haus, das voll steht mit Heiligenbildern und leeren Weinflaschen. Er gerät in einen Streit mit einem Mann, der am Fenster Geige spielt (sein Lebenspartner wohl), nachdem er dessen Notenständer umgeschlagen hat, kommt der abrupte Schnitt in einen Bahnhofskiosk. Zu einem muskulösen jungen Mann, der eine Zeitschrift mit nackten Frauen durchblättert, fühlt sich Gerard derart hingezogen, dass er ihn verfolgt bis auf den Bahnsteig, wo er ihn davon fahren sieht. Der Zerfall des sozialen Gefüges zu Beginn, setzt sich nahtlos fort im Zerfall von Gerards Wahrnehmung der Realität, die fließend in Visionen und Albträume übergeht. Die Anzeige im Abteil, die Samson und Delia zeigt, das Plakat draußen, das verkündet: "Jesus ist überall." Eine Welt aufgeladen mit paranoischen Zeichen, die sich oft einfach nur aus visuellen (der Schlüssel, der aussieht wie eine Pistole) oder sprachlichen (das Hotel "Sphinx", das durch die kaputte Leuchtschrift "Spin" (also Spinne) heißt) Verschiebungen und Spielereien ergeben. Gerard fasst das auf einer Lesung zusammen: "My madness is limited to reading the papers. For when it says boom I read doom. For flood I read blood and for red: dead."

Wichtiger jedoch als das Zustandekommen der paranoischen Zeichen, wichtiger als ihre katholischen oder psychoanalytischen Kodierungen, wichtiger als die offensichtlichen Bedeutungen der Symbole, ist die einfach Tatsache, dass sie sich ständig, teilweise doppelt und dreifach wiederholen werden. Der Wiederholungszwang als Motor eines Plots, der unbeirrt auf nichts anderes zusteuert, als einen Kreis zu schließen, dort anzukommen, wo er angefangen hat. Dass dabei das Gefühl einer linearen Thriller-Handlung entsteht, ist bezeichnend für einen Film, der auch formal ausgesprochen elegant vom Zerfall erzählt, sich fließend den Brüchen nähert und - nicht zuletzt - dem Schrecklichen eine bizarre Schönheit abgewinnt. Die stylische Ausleuchtung der Dekors ist dabei ebenso wichtig wie die gleitende Kamera Jan de Bonts. (Die Bedeutung der Kameraarbeit ist im Schaffen des Ästheten Verhoeven kaum hoch genug anzusetzen. Dass er in den 13 Kinofilmen, die er zwischen 1971 und 2000 drehte nur mit zwei (Star-)Kameramännern arbeitete, De Bont und Jost Vacano, ist bezeichnend.)

Was sich wiederholen wird, ist unter anderem die Farbe rot. Rot wie Blut. Rot wie Tomatensaft. Rot wie Rosen. Rot wie das Kleid von Christine, die Gerard auf einer Lesung trifft. Die Frau in rot. Die Frau mit der Kamera. Die Frau, die Blicke anzieht und mit ihrem eigenen Blick die Männer einfängt. Die schwarze Witwe mit dem blonden Haar, die ihr Netz auswirft. Gespielt wird sie von Renée Soutendijk, die schon in Verhoevens Vorgänger Spetters dafür zuständig war, dass Leben mehrerer Männer gründlich durcheinander zu bringen. In De vierde man nun mimt sie das zeitgemäß androgyne ultimative Achtziger Jahre-Update der klassischen femme fatale - so wie es Sharon Stone ein knappes Jahrzehnt später in Basic Instinct für die Neunziger tat.

Mit jeder Wiederholung der Zeichen, jeder Verschiebung von Bedeutung und Begehren wird Gerard ihr Spiel besser verstehen, ohne doch eine Chance zu haben, sich aus ihrem Netz zu befreien. In die Tiefe geht Verhoevens Film dabei nie, immer bleibt man in ihm an den Oberflächen hängen, den zwar ständig erweiterten, aber doch immer auf der Hand liegenden Bedeutungen, den durchgestylten Bildern - wie die Fliege im Spinnennetz. Kein Ausweg aus den zwanghaften Wiederholungen. Der vierte Mann, der fünfte, der sechste. Jesus am Kreuz. Die Spinne im Netz. Es ist vollbracht. (Aber nicht "gelöst".)