Mittwoch, 22. Oktober 2014

Toter Mann (Christian Petzold, Deutschland 2001)

Achtung: Spoiler!!! Ich habe mir Toter Mann binnen weniger Wochen zweimal angesehen. Da seine Wirkung vollkommen anders ist, wenn mensch die Wendungen in der zweiten Hälfte kennt, ich aber gerade über diese Wirkung hier schreiben will, rate ich jedem, der ihn noch nicht gesehen hat, ihn sich vor der Lektüre dieses Textes anzuschauen. Es lohnt sich!

Lukas Foerster hat über Phoenix geschrieben, man könne den Film als ein "Resümee des bisherigen Werks Petzolds betrachten." Tatsächlich findet sich das Motiv der Inszenierung einer Beziehung schon in Toter Mann, seinem faszinierenden Fernsehfilm von 2001. Wo in Phoenix aber - zunächst - der Mann die Fäden hält, Regisseur der Inszenierung ist, in der die Frau (Nina Hoss) zur Doppelgängerin ihrer selbst wird, ist es hier der Mann, der auf die Inszenierung einer Frau (ebenfalls Nina Hoss) hereinfällt.
Da sind also zu Beginn ein Mann und eine Frau, die so einsam sind, wie man in der menschenleeren städtischen Einöde, die Stuttgart in diesem Film ist und in seinen spröden, klaren, kalten Einstellungen nur einsam sein kann. Er, Thomas (André Hennicke), ist Anwalt. Sie, Leyla (Hoss), arbeitet zunächst in einem Callcenter. Das ist wichtig, weil Petzold die Entfremdung, die er zeigt sicherlich nicht zuletzt von einer heutigen Dienstleistungs-Arbeitswelt her denkt. So lakonisch und unaufgeregt wie zärtlich erzählt Petzold, wie sie sich kennen lernen, sich - scheinbar - langsam näher kommen. Dieses Kennenlernen wird mit genau den richtigen Details unterfüttert, um ihm Leben einzuhauchen, ihm das "gewisse Etwas" zu geben. Da ist das Buch, das sie im Schwimmbad fallen lässt und er aufhebt. Das zaghafte Gespräch auf der Brücke über Schulhofliebschaften, die gar nicht erst zustande kamen und Springbrunnen in Fußgängerzonen. Die Verabredung, zu der sie Stunden zu spät kommt. Dann Steinofenpizza bei ihm. Gemeinsam Musik hören.

"What the world needs now,
Is love, sweet love,
 It's the only thing that there's just too little of."
 
singt Dionne Warwick, während Leyla auf dem Sofa entschlummert, um ihrem Verehrer ausgiebig Gelegenheit zu geben, seine schlafende Göttin anzuhimmeln.  
Thomas' Gefühlshaushalt trifft es wie ein Schlag mit dem Vorschlaghammer, dass Leyla nicht nur hinterher spurlos - und mit seinem Laptop - verschwindet, sondern dass er herausfindet, dass er zum Objekt einer Inszenierung wurde, eines Spiels, in dem es nicht um ihn geht ("Zielobjekt Mann - Wie Frauen Männer ködern" heißt das Ratgeberbuch, das zum Script einer Annäherung wird). Gerade das Auffliegen dieser Inszenierung ist insgeheim der bitterste Twist der zweiten Filmhälfte - nicht die Tatsache, dass die rätselhafte Leyla mit ihrem undurchsichtigen Verhalten einem ausgeklügelten Racheplan folgt.
Der Mann, an den sie eigentlich gelangen möchte, heißt Blum. Er ist Mandant von Thomas und befindet sich nach einer Haftstrafe in einem Resozialisierungsprogramm. Sven Pippig spielt ihn mit der devoten Resignation eines Mannes, der längst akzeptiert hat, dass er die Art von Geheimnis mit sich rumträgt, die auf ewig einsam macht, die einen Keil zwischen ihn und seine Mitmenschen treibt. Leyla nähert sich nun ihm an. Sie schenkt ihm ein Buch, "Unter den Brücken", zum gleichnamigen Film von Helmut Käutner. Das zweite Buch für den zweiten Mann. Und auch eine weitere filmhistorische Folie, die dem Geschehen unterlegt wird. Neben den Hitchcock-Filmen Vertigo und Marnie, die, so liest man im Innencover der DVD, Petzold seinen Schauspielern vor dem Dreh gezeigt haben soll. Neben Hitchcocks Männer-Obsessionen für geheimnisvolle Frauen also Käutners Romanze um zwei Männer, die einsam sind auf ihrem Schleppkahn und eine Frau retten wollen, die einsam ist in der Großstadt. Doch Toter Mann versteht sich vorwiegend als Negation dieser Vorbilder. So wie die Männer durch ihre Obsessionen zum Spielball der Frau werden, ist es dann auch nicht an ihnen, sie zu retten. Vielmehr ist ihr großes Komplott ein Selbstheilungsversuch, in dem die Männer nur Mittel zum Zweck sind. Und so wie als Schatten über Unter den Brücken, sieht man ihn heute, die Situation liegt, die der Film erzwungenermaßen vollends ausblendet, nämlich die von Berlin Ende 1944, kommt das Grauen, kommen Mord, Vergewaltigung und Rache erst ganz langsam zum Vorschein in Toter Mann, der als Liebesgeschichte zwischen Entfremdeten beginnt.
Zeigt Käutner in ihrer ersten Szene nur einzelne Partien des im Schatten liegenden Gesichts von Hannelore Schroth, dann ist auch Nina Hoss bei Petzold, am Ziel ihres Plans angelangt, eine Schattengestalt. Im Profil ist sie ganz Schatten, von vorne ist nur ihre eine Gesichtshälfte sichtbar. Ganz zu werden, einen Moment der Geborgenheit und der Gegenseitigkeit zu spüren, das ist es, was die Menschen durch die unterkühlte Welt dieses Films treibt, was ihre Verzweiflung ausmacht, die nur in kurzen Momenten sich Bahn nach außen brechen kann. Die Ambivalenz darüber, ob man sich, liegen die Karten einmal endgültig auf dem Tisch, wirklich kennen lernen kann in dieser Welt ist das, was am Ende bleibt. 

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