Mittwoch, 17. September 2014

The Human Centipede (First Sequence) (Tom Six, Großbritannien, Niederlande 2009)

Nach einer ersten Bekanntschaft mit Dr. Heiter und seinen düsteren Machenschaften im Prolog, beginnt der Film wie ein x-beliebiger Backwood-Horror-Streifen. Zwei amerikanische Touristinnen unterwegs in einem wenig anheimelnden Deutschland (ein Club namens Bunker, ein notgeiler Porno-Opa, Regen) haben eine Autopanne im nächtlichen Wald. Auf der Suche nach Hilfe landen sie im Haus von besagtem Dr. Heiter, der der deutschen Gastfreundlichkeit die Krone aufsetzt. Hier erweist sich die Backwoods-Fährte als Falle. Für die beiden Frauen sowieso, aber auch für uns Zusehende. Denn im Genre bekommen es die durchreisenden Vertreter der großstädtischen Zivilisation für üblich mit "barbarischen" Hinterwäldlern zu tun, mit menschenfleischhungrigen Rednecks und wilden Hügelbewohnern, während das Grauen, das hier wartet, betont "kultiviert" daherkommt. Josef Heiter, dem ein bestens aufgelegter Dieter Laser einmalig markante Kontur verleiht, ist ein Chirurg, ausgezeichnet für die Trennung von siamesischen Zwillingen und mit exquisitem - wenn auch recht morbidem - Kunstgeschmack. So grausam steril wie seine OP- und Laborräume mutet seine gesamte luxuriöse Residenz an. Außerdem suggeriert der generische Beginn des Films auch, dass altbekannte Qualen und Torturen auf die jungen Protagonistinnen warten, während Tom Six und Josef Heiter sich doch etwas ganz spezielles haben einfallen lassen: Mund an After näht Heiter seine Opfer aneinander, um so, durch einen gemeinsamen Verdauungstrakt miteinander verbunden, den menschlichen Hundertfüßer zu kreieren.
Wie The Human Centipede (First Sequence) als Horrorfilm funktioniert zeigt sich an der vielleicht bedrückendsten Szene des Films, in der eigentlich gar nichts passiert. Es ist der Moment, wenn Heiter seinen Opfern, unmittelbar nach dem sie aus der Narkose erwacht sind, in die er sie versetzt hat, seine Operation erklärt. Seine Bemerkung, dass er seine Ausführungen nicht wiederholen wird und die einfachen Zeichnungen von Menschen, Aftern und Mündern sind genug, um die Phantasie des Zuschauers mit allerlei quälenden und unappetitlichen Vorstellungen anzureichern. Neben den beiden Frauen, Lindsay (Ashley C. Williams) und Jenny (Ashlynn Yennie), sind die Opfer der Japaner Katsuro (Akihiro Kitamura) und ein Truckfahrer. Weil er letzteren nicht gebrauchen kann, wird er fachmännisch ermordet und im Garten vergraben. Für den kaltblütigen Dr. Heiter sind die Menschen nichts als Material für seine Schöpfung und haben nur als solches ihren Wert.
Der Vorname Heiters ist eine Anspielung auf Josef Mengele und als filmisches Vorbild nennt Tom Six Pasolinis Saló, was sich besonders in der Szene niederschlagen mag, wenn der Doktor den "Kopf" des Hundertfüßers, Katsuro, auffordert, die beiden Frauen hinter ihm zu "füttern". Mag man in diesem filmhistorischen Bezug auch eine Anmaßung sehen, Six geht es doch um eine Form der Machtausübung, die aus der absoluten Unterwerfung, Erniedrigung und Entmenschlichung, der buchstäblichen Degradierung zum Tier des Gegenübers eine sehr spezifische Form der ästhetischen Lust zieht. Darin dass er "schöpft" und vernichtet erhebt sich der Halbgott in Weiß zum Gott. So explizit sexuell wie das seines Nachfolgers und -ahmers in der Fortsetzung ist das Handeln Heiters hier noch lange nicht. Auch darin bleibt der Film wesentlich perfider.

 
 
Durch die so "kranke" wie "neue" Grundidee entwickelte sich The Human Centipede per Netzdiskussionen zu einem Kultfilm bevor ihn irgendjemand zu Gesicht bekommen hatte. Wo er anderswo ein breites Echo erfuhr, was sich unter anderem in einer Parodie in einer South Park-Folge ausdrückte, blieb er in Deutschland, wo er nur in einer stark gekürzten Version auf DVD erschien, ein Randphänomen. Was Tom Six mit seinem Film gelungen ist, ist ein düsterer, stylisch steril gehaltener und konsequenter Exploitationfilm mit kulturpessimistischen Untertönen.  
 

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