Donnerstag, 11. September 2014

Schluckauf (Roland Klick, BRD 1989)

"An mir ist überhaupt nichts echt," gesteht Chantal gegen Ende und bricht wenig später in Tränen aus. Dabei geht es doch in Schluckauf gerade darum, dass das absolut kein Grund zum Weinen ist, darum, in denkbar schrillen Achtziger Jahre-Settings und -Klamotten die Ideologie der Authentizität zu entlarven. Oder, anders ausgedrückt, zu zeigen, dass "Echtheit" überschätzt ist.
Da ist die Szene relativ zu Beginn: Gertie (auch Flo genannt, Irene Findeisen) ist gerade aus ihrem  Kaff in der norddeutschen Provinz in Berlin angekommen, um das Model Chantal (Cathy Haase) wieder zutreffen, die sie auf einer Modenschau kennengelernt hatte. Sie trifft aber nur die türkische Putzfrau an, die ihr nach einer denkbar schroffen Begrüßung, das Licht in Chantals Wohnung vorführt, dass mit Klatschen ein- und ausgeschaltet werden kann. Eine ziemlich überflüssiges Gimick einerseits, gereichen die beiden denkbar unterschiedlichen Frauen (die doch gemein haben, irgendwie in Berlin gestrandet zu sein), die im Flur stehen und immer begeisterter das Licht an und wieder aus klatschen, dem Film zu einem ersten Moment "echter" Kinomagie.
Chantal übrigens setzt ihre Bewunderin zunächst enerviert vor die Tür. Natürlich geht es in dem Plot, der sich aus dieser Ausgangssituation entwickeln wird, darum, wie die beiden Frauen, die sich ähnlicher sind als sie es selbst glauben würden, Freundinnen werden.
Klick stellt diese Figuren und diesen Plot offen und mit einer vage Almódovar'esken Hysterie als die Klischees aus, die sie sind, nimmt sie aber in ihrer Komik ernst, und beginnt, sie lustvoll zu dekonstruieren. Der Schein trügt also, ganz besonders bei Models in ihren, nun ja, schicken Kreuzberger Wohnungen. Das naive Landei stellt sich nicht nur als vermögender, sondern auch als abgeklärter heraus als die vermeintlich toughe Frau von Welt (laut Visitenkarte: "Starmodel - London, Los Angeles, Paris, Moskau...)
Roland Klicks bislang leider letzter Film ist zugleich sein erster, in dem die Hauptfiguren Frauen sind und seine einzige Komödie. Eine Komödie von Roland Klick, das bedeutet zunächst einmal, dass sein gängiges Thema, die Tragödie gesellschaftlicher Außenseiter und ihres Kampfes ums Überleben, um das Geld, das ihnen endlich zu ihrem Platz in der Welt verhelfen soll als Farce reinszeniert wird.
Doch das ist nur das eine. Um zu zeigen, was da noch ist, soll an dieser Stelle ein kleiner theoretischer Bogen geschlagen werden.
Klick sagte: "Die Amerikaner machen Filme richtig. Ihre Geschichten und die Art, wie sie sie erzählen entspricht dem, was das Medium verlangt. Ich habe deutsche Filme gemacht, und ich habe sie offenbar richtig gemacht, denn plötzlich sahen sie amerikanisch aus."
Diederich Diederichsen schreibt über Gentlemen prefer Blondes, einen amerikanischen Film, der mit Schluckauf mindestens gemein hat, dass er zwei Protagonistinnen mit einer Vorliebe für allerlei bizarre Verkleidungen hat:
"Der vielleicht bekannteste Satz dieses Filmes lautet: »A man being rich is like a girl being pretty«... Worin besteht dieses »wie«? Was macht sie vergleichbar? Nun, beide verfügen über eine externe Eigenschaft – Reichtum, Schönheit –, die auf dem Markt konvertierbar ist. Vollkommen unabhängig davon, wie sie sich selbst verstehen, was für einen Charakter, was für eine Geschichte sie haben. Jeder und Jede kann eine solche externe Eigenschaft sich aneignen (vielleicht ist nicht jeder schön, aber jeder kann sich, so argumentiert dieser Film, eine Eigenschaft aneignen, die nicht dadurch diskreditiert wäre, dass sie angeeignet ist – nur Schminke etwa) und dann damit machen, was er oder sie will. Weder die Person noch ihre Zwecke sind mit diesen Mitteln identisch, aber die Mittel weisen ihnen einen Rang zu. Dieser Rang basiert ausschließlich auf diesem Kapital. Das ist die amerikanische Freiheitsidee, die nichts mit europäischen Genealogien und Legitimierungen zu tun hat, wo Reichtum edel ererbt oder fleißig erworben wird und Schönheit nur bestehen kann, wenn sie auch von innen kommt. Diese vorderhand egalitäre amerikanische Voraussetzungslosigkeit (die man ja auch als Tauschwert-Terror beschreiben kann) hat Frieda Grafe an verschiedenen Filmen von Howard Hawks, dem wir auch diesen verdanken, herausgearbeitet: als nicht nur eine politische und ethische Dimension amerikanischer Kultur, sondern auch als eine formal und strukturelle amerikanischer kultureller und künstlerischer Produkte: Serialität, Ersetzbarkeit, Parataxe, Aufzählung, Enzyklopädie, Doppelgänger und Remakes. Allen gemeinsam ist, dass sie ohne Hierarchie auskommen, ohne Herleitung, ohne Aufstieg und Niedergang."
Es scheint an dieser ausführlich wiedergegebenen Unterscheidung deutlich zu werden, warum es einen Filmemacher wie Klick zu dem hier skizzierten amerikanischen Kulturverständnis mehr hinzieht als zu seinem europäischen Gegenstück. Roland Klick verstand sich immer als einer, der Filme für ein Publikum machen wollte, anstatt sich von einem - letztlich immer elitären - Kunstverständnis leiten zu lassen, der das Genre dem Autorenkino vorzog.
Schon in meiner Besprechung zu Supermarkt habe ich zu zeigen versucht, dass die kurzen Momente des Glücks, die Willie in seiner Existenz des Wegrennens und des Ausgeschlossen seins erlebt, nicht dadurch diskreditiert würden, dass er einen Traum verfolgt, der sich letztlich nicht erfüllen wird.
Wo Willie seinem tragischen Schicksal nicht entkommen konnte, kann Schluckauf als Komödie ein gutes Stück weiter gehen. Der Film erträumt eine Welt, in der es keine Hierarchien gibt zwischen Traum und Realität, zwischen dem, was "wirklich echt" und dem was nur Schminke ist, zwischen den Geschichten, die jemand erzählt, damit die anderen sie mögen und ihrem Leben.
Es entsteht eine Welt, in der alles möglich ist. Eine Welt absoluter Freiheit, in dem es eben nicht darum geht, das Reale vom Irrealen zu trennen, das Echte vom Falschen, sondern in der Glück daraus entsteht, dass das Falsche, das Irreale gelebt wird. In dieser Welt kann das umgedrehte Goldfischglas zum Orakel werden, mit dem sich die Lottozahlen vorhersagen lassen. Oder ist das doch nur ein Trick? Das Schöne ist, dass das in diesem Film keine Rolle spielt. In dieser Welt lässt sich ein Koffer voll mit Geld träumen. Oder kommt der Koffer doch aus dem Fernsehen, aus Deadlock in die Diegeses dieses Films? (So oder so wohl der wagemutigste Vorstoß in Richtung Postmoderne im Schaffen Klicks.) Oder stammt er doch von Freddy (Peter-Hugo Daly), einem Bekannten Chantals, der zu Beginn mit der Maschinenpistole vor der Tür steht? Wie dem auch sei, jedenfalls kommt mit Freddy auch echte Suspense in die Welt des Wunderbaren, Kitschigen, Exaltierten dieses Films, die nicht dadurch diskreditiert würde, dass es sich nur um Tricksereien handelt. Die U-Bahn-Suspense/Horror-Szenen sind atemberaubend mit den in den Aufgängen aufschreckenden Tauben und dem zwischen zwei Zügen schreienden Gesicht. Und oben drauf gibt es in einer dieser Szenen noch die tollste Berlin-Horrorfilm-Einstellung, die ich je gesehen habe: Die Kamera wabert in einen Dönerladen hinein und auf den Spieß zu als wollte sie eine Scheibe von ihm abschneiden.
Das es in der Welt des Überzeichneten, des Bizarren, des Durchgeknallten, die dieser Film zeichnet, immer wieder um "echte" Gefühle geht, um die zärtlichen Annäherungs-Momente zweier Frauen, macht ihn auch zu einer Metapher auf das Kino, in dem es ja von jeher darum ging, künstliche Welten mit "echten" Emotionen aufzuladen.
Und dann ist Klicks letzter Film und sein dritter, der in West-Berlin spielt, auch der ultimative Mauerstadt-Film, weil es in ihm darum geht, die Mauer zwischen Traum und Realität einzureißen - und das unmittelbar bevor die reale Mauer zwischen Ost und West "fallen" sollte.

Und übrigens: "Der Kiez von heute, ist die Schickeria-Gegend von morgen." Wie recht sie doch hat, die Chantal.

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