Samstag, 24. Mai 2014

Sleep, My Love (Douglas Sirk, USA 1948)

In den späten Vierzigern scheint sich ein zunächst recht merkwürdig anmutender Einfluss im Film Noir bemerkbar zu machen, die Stilisierung der düsteren Großstadtwelt mit ihrem Ursprung in der hard boiled crime fiction und den Licht-und-Schatten-Spielen des deutschen expressionistischen Films der Zwanziger wurde kurzgeschlossen mit den Mitteln des italiensichen Neorealismus. Nach den New York-Bildern von Jules Dassins semidokumentarischem The Naked City ist dieser Einfluss auch in Siodmaks Cry of the City deutlich zu spüren, nicht nur was den übermäßigen Dreh an Originalschauplätzen anbelangt, sondern auch in dem deutlichen Interesse an den sozialen Realitäten Little Italys.
Douglas Sirks Sleep, My Love (im gleichen Jahr wie die anderen beiden Filme uraufgeführt) knüpft einerseits in einigen Szenen an diese Tendenz an, andererseits scheint er auch genau in die andere Richtung zu gehen, die Stilisierungen des Genres auf die Spitze zu treiben. Das Homogenes, ja, Disparates in diesem Film nicht so sehr zusammenkommt als nebeneinandersteht, sicherlich auf den Kontrast abzielenden und durch den Kontrast wirkend, aber ohne dass einer der kontrastierten Teile - bzw.: Welten - den Film ganz an sich reißen würde, gleichberechtigt also, ist das Faszinierende an diesem großartigen Film.
Da sind die Innenräume, die ganz und gar gothic horror sind, allen voran das riesige, geräumige und doch derart vollgestellte und mit Familienporttraits vollgestellte Haus des Ehepaars Courtland mit seinen Treppen, die hauptsächlich dazu zu dienen zu scheinen, gitterartige Schatten zu werfen, und durch die hinab im großartigen Show-Down ein Mann spektuklär stürzen wird. Nicht nur in der Szene, in der Mrs. Courtland in bedrohlich verzerrter Untersicht schlafwandelnd, schwankend an der Brüstung des Balkons steht, ist dieses Haus sehr deutlich: ein Spukschloss. Ein düster märchenhaftes Reich der wunchernden Schatten und Blätter ("djungle" nennt Mrs. Courtland ihren Wintergarten), das seine Künstlichkeit in keiner Szene zu kaschieren trachtet. Aber als Außen zu dem Innen dieser Räume gibt es in dem Film dann eben auch ein "reales" New York, in der wunderbaren U-Bahn-Szene, durch den Blick aus dem Fenster der Courtlands auf die Manhattan Bridge (wobei die Rückprojektion des Manhattan Bridge-Panormas natürlich eine recht rührende Hollywood-Vorstellung eines "realen New Yorks" ist).
So wie sich diese klaustrophobischen märchenhaften Räume immer wieder öffnen zu einer Stadt, die jenseits ihrer Mauern liegt, aber von einem anderen Planeten zu stammen scheint, verhält es sich auch mit dem Noir-Plot des Films. Zunächst ist Sleep, My Love ein Film, der schwärzer kaum sein könnte. Es geht darum, wie Richard Courtland (Don Ameche) mit drogeninduzierter Hypnose und unter Hilfe eines anderen Mannes, seine Frau Alison (Claudette Colbert), die das Geld in die Ehe brachte, in den Wahnsinn und schließlich in den Tod zu treiben trachtet, um seine geliebte Daphne (Hazel Brooks) heiraten zu können. Dem - wohl recht dezidiert Sirk'schen - Sujet von der "Hysterisierung" der Frau durch Medizin und Psychologie, steht Brooks als  femme fatale entgegen, ein wunderschönes, gieriges, arrogantes, skrupelloses, gelangweiltes und vor allem extrem ungeduldiges Biest, das ein Billy Wilder nicht böser hätte erdenken können.
Mit einem anderen Mann Bruce Elcott (Robert Cummings), den Allison kennenlernt, kommt eine Liebesgschichte in den Film, die aus einem ganz anderen Film, einem Gegenfilm zur düster schattigen Noir-Welt von Sleep, My Love zu stammen scheint. Schon deshalb weil die Hochzeit von Bruce' chinesischem "Bruder", auf die ihn Alison begleitet, in einem ausgesucht hellen Lokal stattfindet, aber auch weil der gutherzige Humanismus dieser wundervollen Szene einen denkbaren Kontrast bietet zur ausweglosen Noir-Welt des Mr. Courtland.  Die Liebesgescichte zwischen Alison und Bruce hat mit einer gängigen Noir-Liebesgeschichte, mit dem verzweifelten Versuch zweier verlorener Seelen, einander zu finden, nichts gemein. (Wenn man Parallelen zu den Melodramen ziehen möchte, die in den Fünfzigern zu Sirks Markenzeichen wurden, wird man wohl am ehesten bei There's always Tomorrow fündig. Hier wie dort findet sich das persönliche Glück nicht in der Ehe, sondern scheint im Gegenteil dieser diametral entgegen zu stehen. Der Blick aus dem Courtlandschen Wohnzimmer in den verregneten Garten wirkt dann nicht so sehr wie ein vorwegnehmender Blick in jenen Film, sondern aus ihm heraus. Der Gegenschuss zu dem, was Barbara Stanwyck sieht, während wir ihr trauriges Gesicht durch die regenverhangene Scheiben sehen.)
Gerade in seinen Abweichungen von dem Genre, dessen Zynismus eben eine Menschlichkeit entgegensteht, die relativ deutlich die Handschrift Douglas Sirks trägt, ist Sleep, My Love Film Noir in seiner reinsten Form: Ein Film über Licht und Schatten durch und durch und in jeder Hinsicht.
In der letzten Einstellung dann, wenn die Liebenden einander umarmend auf dem Balkon des Spukschlosses sitzen und die Kamera an der düsteren Studio-Syline-Attrape entlang nach oben entschwebt, werden die beiden Filme, die Sleep, My Love ist, auf denkbar schöne Weise zusammengebracht.     

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