Samstag, 26. April 2014

Patriarchat und Gewalt II: While She Was Out (Susan Montford, USA 2008)

Im Vorspann sind die Buntstiftzeichnungen eines Kindes zu sehen. Häuser, in wenigen groben Strichen, "Meine (bürgerliche Klein-)Familie": Papa, Mama und zwei Kinder, ein Weihnachtsbaum, ein Einkaufszentrum. In dem Maße wie die Zeichnungen elaborierter, komplexer werden, die Musik anschwillt, die Kamera schneller über diese Bilder gleitet, die Überblenden dynamischer werden, wird diese Phantasiewelt auch düsterer, unheilvoller, bekommt einen vage expressionistischen Touch. Wölfe sind da zu sehen, die einander beißen, ein Engel auf einem Hügel, die Sonne vor ihm ein gewaltiger Feuerball, die Windungen eines Flusses, ein Tannenwald, dessen lange dünne Stämme sich bedrohlich (die Bedrohung ist in dieser Kinderalbtraumwelt also unverkennbar phallisch konnotiert) einem Himmel entgegenstrecken, der nirgendwo in Sicht ist. Schließlich die Ansicht eines Städtchens hinter einem Zaun und in dem Zaun ein Tor. Durch dieses gemalte Tor gleitet die Kamera in eine echte Straße hinein, in eine gated community, einen jener künstlich angelegten Stadtteile, in denen sich die, die es sich leisten können, von allen störenden sozialen Realitäten abschotten. In einer Plansequenz bewegt sie sich elegant über den regennassen Asphalt, in dem sich die Weihnachtsbeleuchtung der Häuser in diesem nicht genauer verorteten Suburbia spiegelt. Schließlich kommt die Kamera vor einem besonders protzigen Anwesen zum Stehen. Vor der Tür hält ein BMW und aus dem BMW steigt ein Mann im Anzug, telefonierend.
Aus seinem Telefonat können wir schließen, dass er an der Börse arbeitet. Außerdem fällt bereits in dem zweiten Satz, den er in sein Handy spricht, das Wort "Arschloch" und schon Grundschulkinder wissen: Was man sagt, ist man selber.
Jedenfalls ist Kenneth (Craig Sheffer), der Mann im Anzug, der wie alle Figuren in While She Was Out nur einen Vornamen hat, gar nicht amüsiert über den Zustand des Hauses, dass er betritt. Seine Frau Della (Kim Basinger) hat nicht aufgeräumt, überall liegen die Spielsachen der beiden (komplett namenlosen) Kinder herum. Und wenn sie, während er arbeiten geht, sich schon nicht zusammenreißen und das Haus in Ordnung halten kann, dann soll sie wenigstens nicht versuchen, ihm vorzuschreiben, was er zu tun hat. Sonst ist sie, so sieht er das, selbst schuld, wenn er sie fest am Arm packt ("Don't break my arm!" "Don't tell me what to do!") und mit der Faust ein Loch in die Wand schlägt, direkt neben ihrem Kopf. "Why do you make me do that?!", fragt er sie anschließend vorwurfsvoll, den Verzweiflungstränen nah. Terrence scheint Lacanier zu sein: für ihn ist die Frau ein Symptom des Mannes.
Della flüchtet sich zunächst ins Kinderzimmer. Eine interessante Inversion der sich in Affliction ständig wiederholenden Konstellation, dass Kinder bei der Mutter Schutz vor dem Vater suchen.
Doch so wenig wie die Mutter dort, bieten die Kinder hier eine Zuflucht. In der patriarchal geordneten Albtraumwelt dieses Films gibt es für eine Frau, die sich nicht in ihre Hausfrauenrolle einfinden kann oder will, keinen Unterschlupf. Nirgendwo.
Dellas nächster Fluchtversuch führt sie in ihren SUV. Auf der Zigarettenschachtel im Handschuhfach klebt ein Zettel, der "Della-Honey" dazu auffordert, dass Rauchen aufzugeben. Die - mehr als notdürftig - als Zuneigung und Sorge camouflierte männliche Kontrolle scheint überall zu sein. Della fährt in die örtliche Shopping Mall, sie braucht noch Geschenkpapier, so hatte sie ihrem Mann zum Abschied gesagt. Langsam arbeitet sich der Film an den Motiven der Kinderzeichnungen zu Beginn ab. Und so düster märchenhaft wie die gemalte, ist auch die reale Welt. Die alternde Della wirkt in diesem Albtraum-Einkaufswunderland verlorener, als es die kleine Alice in ihrem Kindertraumwunderland je sein könnte.
Auf dem Parkplatz hatte Della einen Zettel unter den Scheinwerfer eines Autos gesteckt, dass rücksichtslos zwei Plätze belegte. Als sie nun in ihren Wagen steigen will, versperrt ihr das andere Auto den Weg und sie muss feststellen, dass dessen Insassen vier delinquente junge Männer sind. Der Anführer Chuckie (Lukas Haas) stellt sich ihr mit den Worten vor: "I gotta gun! How about I aim it at your pussy first?" Die heterosexuelle männliche Performance ist in While She Was Out offenbar ohne die Verschmelzung von Phallus und Gewalt nicht zu haben. Dass der Film dabei einerseits unsubtiler zu Werke geht, als noch der krudeste von den Rape and Revenge-Movies, auf die er sich in der zweiten Hälfte so offensichtlich bezieht, andererseits versucht seine Geschichte mit allerlei gender - und race studies-Quatsch aufzupäppeln (während Chuckie weiß ist, sind seine drei brothers in crime afroamerikanisch, asiatisch- und mexikanisch-stämmig, und gestritten wird in der Gruppe unter anderem über die Verwendung des Wortes "nigger"), wie er also versucht neuere geisteswissenschaftliche Diskurse mit purer Exploitaton kurzzuschließen, kann einem schon ganz schön den Nerv rauben.
Jedenfalls mischt sich ein Wachmann in die Auseinandersetzung ein, die durch seinen Versuch, Della zu beschützen allerdings erst vollends eskaliert. Als Chuckie ihn (mehr oder weniger "aus versehen") erschießt wird Della, die es zunächst schafft, in ihrem Auto zu fliehen, zur einzigen Zeugin. Die vier Männer nehmen die Verfolgung auf, die später zu Fuß durch ein im Bau befindliches Haus und in einen Tannewald führen wird, dessen lange dünne Stämme sich einem Himmel entgegenstrecken, der nirgendwo in Sicht ist. Es kommt zu einem blutrünstigen Katz-und-Maus-Spiel, bei dem jedoch die Rollen zwischen Katze und Maus, Täter und Opfer, Mann und Frau je weiter verwischt werden, desto mehr sich Della die phallische Gewalt aneignet.
Als "realistischer" Film - und sei es auch ein "psychologischer Realismus"- macht While She Was Out nicht allzu viel Sinn. Das auf die mangelnde Erfahrung von Susan Montford zu schieben, die - sonst als Produzentin tätig - in ihrer ersten und bislang einzigen Regie-Arbeit auch ihr erstes und bislang einziges Drehbuch verfilmte, geht jedoch am Film vorbei.
Zwar arbeitet der Film mit "realistischen" Elementen (der Verweis auf bestimmte Milieus, die Handlung in Echtzeit), seine "Logik" hat mit der eines sich ständig steigernden Albtraums aber sicherlich mehr zu tun als mit irgendeiner außerfilmischen Realität.
Weiterhin sind Märchen eine Referenz: Little Red Riding Hood nennt Chuckie Della einmal und das Märchenhafte an dem Wald, in dem der Show-Down stattfindet, würde man wohl auch ohne diesen Hinweis (der natürlich einmal mehr an den Vorspann mit seinen von Kinderhand gemalten bösen Wölfen anknüpft) erkennen - wenn, tja, wenn While She Was Out ein Film wäre, der seinen Zuschauern genug zutrauen würde, um sie nicht ständig mit der Nase auf alles stoßen zu müssen.
Und dann sind da sicherlich nicht zuletzt die Reminiszenzen an die Traum- und Märchenwelt der Filmgeschichte. Zunächst die bereits erwähnten Bezüge zu den Rape and Revenge-Filmen, deren radikalfeministisch lesbaren Rache-Phantasien Montford lediglich dadurch variiert, dass Basinger hier nie im eigentlichen Sinn des Wortes vergewaltigt wird. Dann gibt es aber auch einige "Männerfilme" als Blaupause, deren Protagonisten hier durch eine Frau "ersetzt" werden. Unverkennbar sind die Parallelen zu High Noon, ebenfalls ein Film, der achtzig Minuten erzählte Zeit in achtzig Minuten Erzählzeit packt, und in dem Gary Cooper sich allein gegen eine Übermacht von vier bewaffneten Männern verteidigen muss, die er im berühmten Show-Down einen nach dem anderen zur Strecke bringt - wie Della hier. (Die Rache-Actioner der Siebziger und Achtziger griffen ja nicht zuletzt die Mythologie des Westerns auf, in dem die frontier ein Ort ist, an dem die "Zivilisation" immer wieder aufs Neue gegen die "Barbarei"  - sei es die der "Indianer" oder rücksichtsloser Banditen und Großgrundbesitzer - verteidigt werden muss. Für Charles Bronson und Co. schien die frontier in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mitten durch die großen Städte zu verlaufen. Wer möchte, kann die Spuren dieses Diskurses wohl ohne größere Probleme in While She Was Out finden.)
Schließlich sind es für  Michael Douglas in Joel Schuhmachers Falling Down von 1993 wie für Della im Einkaufszentrum, gerade die Kleinigkeiten des Alltags in der Konsumgesellschaft (der ewige Stau auf dem freeway, der Hamburger, der auf dem Tablett soviel beschissener aussieht, als auf dem Foto der Werbeanzeige, etc.), die einen ganz "normalen" Mann in einen wild um sich schießenden (und übrigens ziemlich rassistischen) Wutbürger verwandeln.
Das einzige, was Montford mit den Subtexten dieser Filme anfängt ist, die Phantasie von der phallischen Ermächtigung der Frau im Endlosloop ablaufen zu lassen. In While She Was Out, für den mit Basinger übrigens auch eine Frau als ausführende Produzentin verantwortlich zeichnet, ist es eben eine Frau, die es allen mal so richtig zeigt, die sich nicht mehr alles gefallen lässt, sondern gnadenlos zurückschlägt. Zeigen wollte wohl auch Montford, dass auch eine Frau einen reißerischen Rache-Thriller abliefern kann. Davon abgesehen, dass, so sexistisch die Verteilung der Macht im Filmgeschäft auch bis heute ist, Kathryn Bigelow schon des Öfteren bewiesen hat, dass eine Frau auch wirklich gute Thriller und Actionfilme drehen kann, gerät While She Was Out letztlich nicht weniger reaktionär als viele seiner "männlichen" Vorbilder.
Ideologiekritik aside funktioniert der Film als Thriller mit seinem atemlosen Erzähltempo übrigens gar nicht übel. Nur entstand zwischen meinem Gefühl bei der Sichtung und meinen Gedanken als ich ihn später Revue passieren ließ, eine beträchtliche Diskrepanz. Ganz besonders im Hinblick auf die letzte Einstellung, das offene Ende, das mich beim Sehen durchaus schockte, das ich beim späteren drüber Nachdenken aber doch eher dämlich fand.
Die wohl beste Szene des Films, das finale, nun ganz offen erotische "Duell" zwischen Della und Chuckie ist symptomatisch. Gerade da, wo der Film einmal ein Risiko eingeht, tatsächliche Ambivalenzen schaffen könnte, indem er die festgetretenen Pfade verlässt und sich auf ziemlich dünnes Eis begibt, muss er doch schnell wieder zurück rudern: Die Frau ermächtigt sich - zum tausendsten mal - des Phallus. That's it.
So kann While She Was Out den Zuschauer durchaus fesseln. Um aber sich selbst wirklich zu entfesseln, ist er viel zu berechnend, viel zu möchtegernklug.

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