Der Film endet so, wie er angefangen hat: Mit einem
Familienfest im Hause Berger. Jedoch werden sich die Hierarchien, die
innerfamiliären Machtverhältnisse entschieden verändert haben. Um diese
Verschiebungen, die (immer wieder durchaus radikalfeministisch lesbare)
Ermächtigung einer jungen Frau innerhalb eines sozialen Gefüges, in dem sie zu
Beginn kaum mehr ist als das ewige Sorgenkind, wird es gegangen sein in den
neunzig Minuten zwischen Familienfest und Familienfest.
Auf dem Familienfest zu Beginn wird der 22-jährigen Sylvia
(Jessica Schwarz) eröffnet, dass nicht sie, wie ihr Leben lang angenommen,
sondern ihre Cousine Manuela (Tanja Gutman) die väterliche Firma übernehmen
soll. Eine Ankündigung, die alte Wunden aufklaffen lässt. Sylvia rebelliert. Auf einer Party lernt sie den mit
dubiosen Geschäften sein Geld verdienenden Rico kennen (wunderbar charismatisch
am Klischee des herzenbrechenden Gangsters vorbeispielend: Misel Maticevic).
Nach einer kurzen Affäre macht er kühl und einsilbig mit ihr
Schluss. Wenig später erfährt sie, dass sie Syphilis hat. Mit ihren hilflosen
Eltern, die sich schmerzlich in eine Zeit zehn Jahre zuvor zurück versetzt
fühlen, als ihnen ihre Tochter während einer schweren Krise schon einmal
komplett zu entgleiten drohte, überwirft sie sich bald ganz. Sie drehen ihr den
Geldhahn zu, kündigen ihre Wohnung. Sylvia lernt Ben Lüders (Matthias
Schweighöfer) kennen. Sie zieht zu ihm. Hatte Ben jedoch schon zu Beginn eine
auffällige Affinität zum morgendlichen Biertrinken, entdeckt sie bald im Bad
eine versteckte Crack-Pfeife. Sie verlässt ihn, ist nun ohne Bleibe und
prostituiert sich. Wer aber glaubt, der Film steuere auf die Endstation
Straßenstrich zu, der kennt Sylvia Berger und Dominik Graf schlecht.
Die Inszenierung dieses TV-Thrillers von 2004 wirkt für
Graf-Verhältnisse, etwa im Vergleich zu Der Skorpion, Die Freunde der
Freunde oder Eine Stadt wird erpresst beinahe konventionell. Zwar
gibt es den einen oder anderen gewagten Zoom, wird der eine oder andere Dialog
in eleganten Schwenks aufgelöst. Es gibt, wie in vielen Filmen des Regisseurs,
die fulminante Disko-Szene, in dem sich die Kamera ganz dem Rausch der in rotes
Licht getauchten Körper und Gesichter hingibt und der Blaustich der stylisch
gefilmten Kölner Straßen ist bisweilen beträchtlich. In erster Linie aber ist
der Exzess in Kalter Frühling keiner der Form, sondern einer des
Inhalts.
Die Unterkühltheit, mit der Graf von dysfunktionalen
Familien, Seitensprüngen, Betrug, harten Drogen und Sexarbeit erzählt, wirkt
gegenüber der didaktischen Emotionalität mit der solche Themen gerne im Film
(zumal: im Fernsehfilm) verhandelt werden, wie von einem anderen Stern.
Umso mehr passt diese Kälte zur Entwicklung der
Protagonistin, die vom nach außen hin toughen, aber eigentlich ziemlich
hilflosen Mädchen zu einer Art Racheengel im Business-Dress wird. Immer
skrupelloser reißt sie alle Fäden an sich. Im letzten Drittel gehört der Film
ganz und gar ihr. Sie führt alle Handlungsstränge so zusammen, dass sie zu
ihrem Vorteil gereichen. In der Art, wie dieses gründlich vom Kopf auf die Füße
gestellte Coming-of-Age zelebriert wird, liegt schon ein gewisser Sadismus.
Jedoch bleibt gerade der Loser Ben der Stachel im Fleisch
ihrer neu erworbenen gesellschaftsfähigen Asozialität. Ist die letzte
Einstellung, die Tochter im Arm des Vaters, ein Bruch? Wird der kalte Frühling
hier warm? Oder ist das nicht viel eher der konsequente Schluss einer radikal
zu Ende gedachten weiblich-ödipalen Ermächtigungsphantasie?
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