Sonntag, 16. März 2014

Kalter Frühling (Dominik Graf, Deutschland 2004)


Der Film endet so, wie er angefangen hat: Mit einem Familienfest im Hause Berger. Jedoch werden sich die Hierarchien, die innerfamiliären Machtverhältnisse entschieden verändert haben. Um diese Verschiebungen, die (immer wieder durchaus radikalfeministisch lesbare) Ermächtigung einer jungen Frau innerhalb eines sozialen Gefüges, in dem sie zu Beginn kaum mehr ist als das ewige Sorgenkind, wird es gegangen sein in den neunzig Minuten zwischen Familienfest und Familienfest.

Auf dem Familienfest zu Beginn wird der 22-jährigen Sylvia (Jessica Schwarz) eröffnet, dass nicht sie, wie ihr Leben lang angenommen, sondern ihre Cousine Manuela (Tanja Gutman) die väterliche Firma übernehmen soll. Eine Ankündigung, die alte Wunden aufklaffen lässt. Sylvia rebelliert. Auf einer Party lernt sie den mit dubiosen Geschäften sein Geld verdienenden Rico kennen (wunderbar charismatisch am Klischee des herzenbrechenden Gangsters vorbeispielend: Misel Maticevic).

Nach einer kurzen Affäre macht er kühl und einsilbig mit ihr Schluss. Wenig später erfährt sie, dass sie Syphilis hat. Mit ihren hilflosen Eltern, die sich schmerzlich in eine Zeit zehn Jahre zuvor zurück versetzt fühlen, als ihnen ihre Tochter während einer schweren Krise schon einmal komplett zu entgleiten drohte, überwirft sie sich bald ganz. Sie drehen ihr den Geldhahn zu, kündigen ihre Wohnung. Sylvia lernt Ben Lüders (Matthias Schweighöfer) kennen. Sie zieht zu ihm. Hatte Ben jedoch schon zu Beginn eine auffällige Affinität zum morgendlichen Biertrinken, entdeckt sie bald im Bad eine versteckte Crack-Pfeife. Sie verlässt ihn, ist nun ohne Bleibe und prostituiert sich. Wer aber glaubt, der Film steuere auf die Endstation Straßenstrich zu, der kennt Sylvia Berger und Dominik Graf schlecht.

Die Inszenierung dieses TV-Thrillers von 2004 wirkt für Graf-Verhältnisse, etwa im Vergleich zu Der Skorpion, Die Freunde der Freunde oder Eine Stadt wird erpresst beinahe konventionell. Zwar gibt es den einen oder anderen gewagten Zoom, wird der eine oder andere Dialog in eleganten Schwenks aufgelöst. Es gibt, wie in vielen Filmen des Regisseurs, die fulminante Disko-Szene, in dem sich die Kamera ganz dem Rausch der in rotes Licht getauchten Körper und Gesichter hingibt und der Blaustich der stylisch gefilmten Kölner Straßen ist bisweilen beträchtlich. In erster Linie aber ist der Exzess in Kalter Frühling keiner der Form, sondern einer des Inhalts.

Die Unterkühltheit, mit der Graf von dysfunktionalen Familien, Seitensprüngen, Betrug, harten Drogen und Sexarbeit erzählt, wirkt gegenüber der didaktischen Emotionalität mit der solche Themen gerne im Film (zumal: im Fernsehfilm) verhandelt werden, wie von einem anderen Stern.

Umso mehr passt diese Kälte zur Entwicklung der Protagonistin, die vom nach außen hin toughen, aber eigentlich ziemlich hilflosen Mädchen zu einer Art Racheengel im Business-Dress wird. Immer skrupelloser reißt sie alle Fäden an sich. Im letzten Drittel gehört der Film ganz und gar ihr. Sie führt alle Handlungsstränge so zusammen, dass sie zu ihrem Vorteil gereichen. In der Art, wie dieses gründlich vom Kopf auf die Füße gestellte Coming-of-Age zelebriert wird, liegt schon ein gewisser Sadismus.

Jedoch bleibt gerade der Loser Ben der Stachel im Fleisch ihrer neu erworbenen gesellschaftsfähigen Asozialität. Ist die letzte Einstellung, die Tochter im Arm des Vaters, ein Bruch? Wird der kalte Frühling hier warm? Oder ist das nicht viel eher der konsequente Schluss einer radikal zu Ende gedachten weiblich-ödipalen Ermächtigungsphantasie?

 

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