Die Bronx in den frühen Achtzigern: Ein paar Freunde machen sich auf den Weg auf eine Party in einem leer stehenden Haus. Für die Elektrizität wird der nächste Strommast angezapft. Kenny sorgt am Mikrofon und den Turntables für Musik, während sein kleiner Bruder Lee auf der Tanzfläche halsbrecherischen Break Dance hinlegt. Ramón (A. K. A. Ramo), passionierter Sprüher, hatte seinen großen Auftritt schon auf dem Hinweg, als er Fotos von dem vergangene Nacht produzierten whole car, einem über die gesamte Fläche besprühten U-Bahn-Waggon machte. Chollie hingegen, der vierte im Bunde, macht sich hauptsächlich Gedanken darüber, wie er seinen Freunden helfen kann, ihr Talent zu Geld zu machen.
Beat Street ist ein Film über die Hip-Hop-Kultur, die
sich in den 1970er Jahren im Süden der New Yorker Bronx entwickelte. Der
Stadtteil wurde durch eine Entwicklung, die in den sechziger Jahren einsetzte,
zugleich zu einem Muster- und einem Extrembeispiel für die Mechanismen von innerstädtischem
Verfall und Ghettoisierung. Wer es sich leisten konnte zog weg; im Verlaufe der Siebziger verringerte sich die
Bevölkerung in den Kerngebieten der South Bronx um mehr als die Hälfte. Die,
die blieben – oder durch Sozialbauprojekte systematisch hierhin umgesiedelt
wurden – waren die Ärmsten der Armen der amerikanischen Gesellschaft.
Überwiegend afroamerikanische Sozialhilfeempfänger oder Migranten-Familien, vor
allem aus der Karibik und Lateinamerika. Drogen und Bandenkriminalität griffen
um sich. Die gängige – und von behördlicher Seite weitestgehend tolerierte –
Praxis resignierter Hausbesitzer, ihre leer stehenden und wertlosen Immobilien
nieder brennen zu lassen, um Versicherungsgelder zu kassieren, gab weiten
Teilen des Bezirks das Aussehen einer Stadt nach einem Bombenangriff.
Vor diesem Hintergrund stellt die Entstehung des Hip Hop,
der im Verlaufe der Siebziger aus dem DJing auf Block Partys entstand und bis
Ende der Dekade um die Kunstformen des Rappens (MCing), des Graffiti-Writings und
des Break Dance erweitert wurde, in mehrerer Hinsicht eine Utopie dar.
Zum einen legt sie Zeugnis ab von der Kreativität der
Abgehängten und Ausgeschlossenen. Aus den musikalischen Wurzeln im Soul und
Funk sowie den jamaikanischen Sound Systems entstand gerade dort wo keiner hin
will, etwas vollkommen Neues. Zum anderen sollte ihre ungezügelte Kreativität
die Jugendlichen davon abhalten, die Probleme ihres Alltags mit Drogen zu
betäuben. Sie anregen, Konflikte nicht mit Gewalt, sondern im battle mit
der Sprühdose, am Mikrofon oder auf der Tanzfläche auszutragen.
Um 1980 belegte der immense
Erfolg von Rappern und Gruppen wie The Sugar Hill Gang, Kurtis Blow oder
Grandmaster Flash and the Furious Five die kommerziellen Möglichkeiten, die vor
allem die Musik bot: Die Subkultur aus dem Ghetto als Neuauflage des
amerikanischen Traums. Aber auch in seinen schlechter vermarktbaren Formen
schien Hip-Hop die Möglichkeit zu bieten, soziale Hierarchien zu subvertieren:
Ihren Namen in bunten Bildern an eine U-Bahn zu sprühen, gab den Kids aus den
Armenvierteln die Möglichkeit, ihn in die ganze Stadt zu tragen.
Beat Street nun handelt vor allem von dieser Kommerzialisierung
des Hip-Hop. Dem Weg von den Block Partys in die angesagten Diskos der Stadt.
Aus dem mit mühsam ersparten technischem Equipment ausgestatteten Kinderzimmer
ins professionelle Tonstudio. Vom breaking for pennies an der Straßenecke
auf die große Bühne.
Das wird schon in der Genese des Films sichtbar. In den
Jahren zuvor hatten sich der semidokumentarische Spielfilm Wild Style (1982)
und die fürs Fernsehen produzierte Doku Style Wars (1983) mit Hip-Hop
beschäftigt, wobei das Hauptaugenmerk auf Graffiti lag. In Beat Street
finden sich deutliche Bezüge zu beiden Filmen, er bindet diese aber eben schon in
den Rahmen einer professionellen B-Film-Produktion,
die offensichtlich ein größeres Publikum ansprechen soll. Als Produzent
zeichnet unter anderem Harry Belafonte verantwortlich. Unter den Sponsoren
finden sich Puma und Kangol. Während im Mittelpunkt Tanz und Musik stehen,
wofür vieles, was im Rap und Break Dance 1984 Rang und Namen hatte, vor der
Kamera versammelt wurde, tritt die Handlung um den Graffiti-Künstler Ramo eher
an den Rand. Dabei ist bezeichnend, dass es gerade ihm nicht gelingt, seine
immer selbstzerstörerische Leidenschaft mit dem Privatleben in Einklang zu
bringen. Als er schließlich das ultimative Objekt seiner Begierde erreicht, den
nagelneuen weißen U-Bahn-Zug, den er zuvor jagte wie
Kapitän Ahab den weißen Wal, nimmt es ein böses Ende mit ihm. Gerade die
anarchischste, am schwierigsten den Gesetzes des Marktes und dem Streben nach
Erfolg zu unterwerfende Ausdrucksform des Hip-Hop muss in einem Film wie Beat
Street buchstäblich auf der Strecke bleiben.
Die sozialen Realitäten klingen durchaus immer wieder an,
ohne dass der Film allzu sehr in die Tiefe gehen würde. Da ist der ältere
Bruder von Kenny und Lee, der, wie man aus Erzählungen erfährt, Opfer der
Ganggewalt wurde. Da ist Ramo, der nicht zuletzt daran scheiterte, seine
eigenen Vorstellungen vom Leben mit denen seiner puertoricanischen Familie in
Einklang zu bringen. Da ist sicherlich nicht zuletzt das leer stehende Haus,
das zunächst für illegale Partys, später dann als illegaler Wohnraum genutzt
wird. Dabei fällt auf, dass der Film sichtlich darum bemüht ist, auch das
jüngste Publikum zu erreichen: Keine Waffen und Drogen, kein Sex und kaum
Gewalt, die F- und S-Wörter lassen sich an einer Hand abzählen.
Die vehementeste Kritik jedoch findet sich in den
Song-Texten, vor allem im wunderbaren und ziemlich bissigen ‚Santa’s Rap‘ von
The Treacherous Three, sowie im bloßen Zeigen der heruntergekommenen
Bronx-Straßen. In der eindrücklichsten dieser Szenen werden während des finalen
Titel-Songs die Bilder von Abrisshäusern, verfallenden Brown-Stones, noch
tristeren Sozialbautürmen und müllübersäten Brachen in einer beinahe
Antonioni‘esken Montage-Sequenz zusammengefügt. Mit ihrem dokumentarischen
Duktus sind diese Aufnahmen noch weit entfernt von den stereotypen Bildern des
armen Amerikas, die im Verlauf der Achtziger Einzug in den Mainstream hielten,
sei es in Eddie Murphy-Blockbustern oder Michael Jackson-Videos, und über die
Georg Seeßlen einmal schrieb, sie seien „ungefähr so wahr wie Disneyland“. Beat
Street ist auch hier das, was ihn, von den künstlerischen Schauwerten
einmal abgesehen, am Interessantesten macht: Ein Umbruchs-Film.
Dass, diplomatisch ausgedrückt, weder das Drehbuch noch die
Schauspieler Oscar-verdächtig sind, dass der Film nicht durchgehend gut
gealtert erscheint, weil vieles was 1984 vielleicht (so ganz sicher bin ich mir
da auch nicht) noch cool wirkte, zwischenzeitig eher unfreiwillige Komik
entwickelt hat, tut eigentlich kaum etwas zur Sache.
Für hip hop heads und solche, die es werden wollen,
für jeden, der sich für Jugendkulturen und ihre Kommerzialisierung interessiert
führt an Beat Street eh kein Weg vorbei. Aber auch jedem, der einfach
nur den mit immer wieder verblüffender Akrobatik über den Boden wirbelnden
Körpern, bunt besprühten U-Bahnen, treibenden Break Beats, oder dem auf
wunderbar naive Weise sozialkritischen Pathos früher Rap-Songs etwas abgewinnen
kann, sei dringend ein Blick empfohlen.
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