Donnerstag, 19. Dezember 2013

Crimewave (Sam Raimi, USA 1985)

(Vorab: Die einzige Art, sich Crimewave offiziell in Deutschland anzusehen, ist eine DVD des Ramschlables "Best Entertainment". Eine jener DVDs aus der Pionierzeit des Mediums, die so wirken als wäre die digitale Revolution der Bild- und Tönträger spurlos an ihnen vorbeigegangen. Also kein Originalton, das Bildformat aufs damals noch gängige 4:3 zurecht gestutzt und eine Bild- und Ton-Qualität, wie man sie auf der letzten Generation von VHS-Kassetten mühelos besser hinbekommen hätte (gerade in den dunkleren Szenen, von denen es in diesem Filmchen einige gibt, sieht man teilweise so gut wie nichts). Dass ich mit dieser Bemerkung beginne, liegt einerseits daran, dass ich mit mir gehadert habe, ob ich einen Film, den ich nur in derart verfremdeter Form gesehen habe, überhaupt besprechen sollte. Andererseits möchte ich auch mit dem Appell - an wen auch immer - beginnen, diesem, wie ich finde, auf ziemlich liebenswürdige Art ziemlich bescheuerten Film, auch hier zu lande endlich eine liebevollere Veröffentlichung zu gönnen.)

Victor Ajax wartet in der Todeszelle auf seine Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Er wird beschuldigt, seine ehemaligen Arbeitgeber bei der Security-Firma Trend-Odegard ermordet zu haben. Er beteuert bis zum Schluss seine Unschuld. In der Binnenhandlung, die von der Todestrakt-Szene gerahmt wird, erfahren wir, wie Victor in solch missliche Lage geriet. Mr. Odegard wollte seinen Teilhaber ausschalten. Also engagierte er Faron und Arthur, Kammerjäger, ihr Slogan: "We kill all sizes". Will sagen: ob es gegen Ratten oder Menschen (oder später - herrlich! - gegen Helden) geht, ist bloß eine Frage der Einstellung - der Stromstärke am Exterminierungsgerät. Weil die Kammerjäger aber ebenso doof sind wie das restliche Personal dieses Films, grillen sie nicht nur Trend, sondern auch gleich noch ihren Auftaggeber. (Die nachbarschaftlichen und sonstigen Verwicklungen und Verwechslungen genauer aufzuzählen, die Victor schließlich in die Todeszelle bringen - aus der ihn nur sein love interest Nancy schließlich wird retten können - habe ich gerade keine Lust. Ich glaube auch nicht, dass es zum Verständnis dieses Films irgendwie beitragen könnte.)
Nach dem - gemessen am winzigen Budget - immensen Erfolg von The Evil Dead, war es für Raimi relativ einfach, die Finanzierung für ein etwas größeres Projekt zu erhalten. Allerdings griff der Produzent später signifikant in dieses ein, etwa indem er nicht gestattete, dass Raimis Freund und Mitstreiter Bruce Campbell die Hauptrolle übernahm. (Was wirklich schade ist, weil Campbell, der als Schauspieler nie wirklich etwas geschafft hat, außer uns den Ash zu geben, in der kleinen Rolle, die ihm letztlich gewährt wurde, die vielleicht schmierigste Performance seiner Karriere hinlegte.) Das Drehbuch schrieb Raimi übrigens gemeinsam mit den Brüdern Joel und Ethan Coen. Ersterer hatte am Schnitt von The Evil Dead mitgearbeitet und zwischenzeitig gemeinsam mit seinem Bruder sein Regie-Debut Blood Simple hingelegt (der Rest ist (Film-)Geschichte).
Es ist erstaunlich, wie viel von Raimis deutlicher Handschrift schon in seinem zweiten langen Film steckt. Die Struktur des ganz offensichtlich als Nummern-Revue, als atemlose Aneinanderreihung spektakulärer setpieces angelegten The Evil Dead (die Raimi übrigens in dessen Fortsetzung noch auf die Spitze treibt) bestimmt auch Crimewave. Es gibt den exzessiven Einsatz skurriler subjektiver Kamera-Perspektiven (unter anderem sehen wir die Welt hier ganz kurz aus der Sicht eines Dobermans). Der Show-Down findet auf einer Brücke statt, ebenfalls ein Motiv, das sich - oft auch wie hier im Zusammenhang mit einer Auto-Verfolgungsjagd - in späteren Raimi-Filmen endlos wiederholen wird. Ja, selbst die Baseball-Leidenschaft des Regisseurs, der er schließlich einen eigenen Film widmen sollte, klingt in einer Szene, natürlich in der brachial-klamaukigen Art, die diesem Film eignet, an. Raimis gesamte Filmographie lässt sich von Anfang an lesen, als Arbeit an einer, bei aller Offensichtlichkeit ihrer vielfältigen Quellen, recht eigenen Vision eines Spektakelkinos. Während Raimi in den Neunzigern verschiedenen Genres seinen Stempel aufdrückte, ist Crimewave, wie die Evil Dead-Reihe, darum bemüht, möglichst viel in einem Film unterzubringen. Der Film ist eine denkbar krude Mischung aus Slapstick und Film noir-Parodie, wobei auch Raimis Ursprung im Splatter-Horror immer wieder anklingt. Etwa bei der Gabel in der Kammerjäger-Nase oder der blaulastigen Ausleuchtung diverser Szenen.
Da ich nicht wirklich weiss, wie ich mich einem Film wie diesem nähern soll, hier einfach die Beschreibung einer Szene. Die Kamera fliegt auf den Mund einer schreienden Frau zu, scheint in diesen einzudringen. Nach dem Matchcut kommt sie aus der Öffnung einer Trompete wieder heraus. Entfernt sich eben so rasend schnell von dieser, um den Blick auf das Orchester zu öffnen, dass den Tanzsaal beschallt, in dem Victor und Nancy gerade ein Date - was sie anbelangt: ein Date widerwillen - haben. Der Kotzbrocken Renaldo (Campbell), mit dem Nancy eigentlich verabredet war, hat sie, nachdem sie sich gegen seine Übergrifflichkeiten wehrte, einfach abserviert, und sich flugs an Ort und Stelle eine andere gesucht, während Nancy mit Victors denkbar unbeholfenen Liebesgeständnissen - er kennt sie zu diesem Zeitpunkt wenige Stunden - vorliebnehmen muss. Für Renaldo steht in einer solchen Situation fest: Die Rechnung wird geteilt. Nancy bekundet Victor gegenüber, sie könne auf sich selbst aufpassen, nur um eine Sekunde später festzustellen, dass sich in ihrem Portmonee nur noch ein wenig Klimpergeld befindet. Wo soll sie die 36 Dollar für die Rechnung hernehmen? Schwenk durchs Lokal, auf einen Moderator im Smoking, der einen Tanzwettbewerb verkündet. Preisgeld: 36 Dollar. Also legen Nancy und Victor eine wirklich hinreißend beknackte Swingnummer hin. (Hätte ich zu entscheiden, die Rechnung wäre beglichen.) Nur sollte man in einem Raimi - zumal: in einem Raimi/Coens) - Film sich eher nicht auf die Gutmütigkeit Dritter verlassen. Also gibt es einen Schwenk durch Raum und Zeit, an deren Ende Nancy und Victor - immer noch im schwingenden Modus - in der Küche stehen - zwischen sich bis an die Decke türmenden Bergen schmutzigen Geschirrs.
Auch ganz reizend: Die Flucht durch den sichersten Flur der Welt: Musical-Coreographie meets Mit-dem Kopf-durch-die-Tür(en)-gehen.
Der satirische Diskurs um ein kaum noch zu befriedigendes Sicherheits-Bedürfnis der amerikanischen Gesellschaft, mündet in Crimewave äußerst schlüssig in der Todesstrafe. Auch zu der gibt der Film dann einen denkbar drastischen Kommentar ab, wenn er die heuchlerisch-sadistischen Henkersknechte in der Rahmen- mit den bescheuert durchgeknallten Kammerjägern/Auftragskillern in der Binnenhandlung kurzschließt. Allerdings gehen solche kritischen Ansätze in Crimewave dann doch ziemlich komplett zwischen abstrusen plot points, skurrilen Figuren und grotesker Situationskomik unter. Das kann man schade finden - oder auch zynisch. Trotzdem: die achtzig Minuten Laufzeit vergehen wie im Flug und ich habe bevor sie zu Ende waren ein ums andere Mal schallend gelacht.

Zwei Nachbemerkungen:
Crimewave hat mich etwas nostalgisch gestimmt im Hinblick auf den amerikanischen Achtziger-Klamauk meiner Kindheit und frühen Jugend. Vielleicht steht bald ein Wiedershen an mit den Filmen aus dem Haus ZAZ oder auch mit der Police Academy.
Und natürlich wurde ich auch an Wes Craven's Shocker erinnert, den ich vor kurzem (wieder-)gesehen habe, und den ich keinesfalls gut, aber doch auf recht interessante Weise mißlungen fand. Die beiden Filme könnten den Ausgangspunkt einer Studie bilden: Elektriziätsmetaphorik und der elektrische Stuhl im US-amerikanischen Kino der Achtziger Jahre.

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