Montag, 4. November 2013

News from Home (Chantal Akerman, F, Belgien, BRD 1977)

Chantal Akerman filmt New York. In 64 langen bis sehr langen, oft statischen Einstellungen sehen wir Straßen, U-Bahn-Höfe und -Waggons. Mal gespenstisch menschenleer, dann wieder mit hektischem Treiben. Dazu liest sie selbst aus dem Off zwanzig Briefe vor, die ihr ihre Mutter aus Belgien geschrieben hat. News from Home über Krankheiten und Geldsorgen, den Gang der Geschäfte, Hochzeiten und Geburtstage. Immer wieder verliert sich der Text der Briefe in der lauten Geräuschkulisse des neuen Lebens der Wahl-New Yorkerin Akerman, übertönt das Quietschen und Rattern einfahrender U-Bahnen, der Autolärm der Avenues, die Worte der Mutter aus dem Mund der Tochter. Die Worte aus denen jene Mischung aus Sorge und - unbewußt? - als Sorge camoufliertem Willen zur Kontrolle spricht, der die Mütter dieser Erde zu einen scheint.
In meiner Lieblingsszene filmt die Kamera die Fenster in der Tür eines U-Bahn-Wagens. Das eine Fenster ist mittig im Bild zu sehen, das andere daneben zur Hälfte abgeschnitten. Über drei Stationen geht die Einstellung. Gibt Zeit, jedes Detail zu erfassen. Die tags an der Tür. Die schemenhaften Spiegelungen in der Scheibe, eine Frau, ein Reklame-Schriftzug: "Think". An jeder Station öffnen sich die Türen und gehen schnell wieder zu. Erst bei der dritten steigen zwei Männer aus, die ersten Menschen, die direkt zu sehen sind in dieser Szene, gesichtlos, von hinten. Dann kommt der Schnitt. Vorher nur die gespenstische Sinnlosigkeit dieses mechanischen urbanen Ablaufes. "I love the every day and want to present it," sagt Ackerman. Hier, wie in vielen anderen Szenen dieses Films, scheint es, dass dieses Alltägliche nur in Form eines Freud'schen Unheimlichen den Weg auf die Leinwand finden kann. Beunruhigend fremd in seiner Vertrautheit.



Und dann ist da die Schlussszene. Die Skyline von Südmanhattan, aufgenommen von der Fähre nach Staten Island, nimmt langsam Konturen an, umso weiter sich die Kamera von ihr entfernt, um dann allmädlich wieder im Nebel zu verschwimmen. Dazu die Möwen im Segelflug (als die erste von ihnen ins Wasser stürzt, habe ich mich regelrecht erschrocken, dachte, ihr wäre etwas passiert, bis sie wieder emporschnellt.) Die verschwindende Stadt mit World Trade Center auf zum Ende hin immer brüchigerem, mit Artefakten übersätem, in Auflösung begriffenem 16mm-Material. Ein von Geschichte und Zeit seit 1977 beständig fortgeschriebenes Bild der Vergänglichkeit.


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