Freitag, 8. November 2013

Movie of the Week 7: Une femme est une femme (Jean-Luc Godard, F 1961)



"Bevor wir unsere Farce durchspielen, sollten wir uns vor dem Publikum verbeugen," sagt Angela (Anna Karina) zu Émile (Jean-Claude Brialy). Gesagt, getan. Die beiden machen, im Wohnungsflur stehend, einen höflichen Knicks vor der Kamera, vor uns. Dann: Let the games begin! Sie streiten sich. Mal mit der extra dafür in den Mund genommenen Zahnbürste, dann wieder, ohne selbst zu reden, indem sie sich auf Buchumschlägen stehende Schimpfwörter zeigen. Émile fährt dabei teilweise mit dem Fahrrad Runden durch die geräumige Pariser Altbauwohnung. Die Tragödie festgefahrener Beziehungskonflikte, reinszeniert als Farce. Später gesellt sich Alfred (Jean-Paul Belmondo) dazu. Er fragt sich, ob wir uns in einer Komödie oder einer Tragödie befinden, hat selbst jedoch keine Zeit, diese Frage zu beantworten. Er muss weg, weil er Außer Atem sehen möchte, der im Fernsehen läuft. Diese Szene enthält en nuce, was den Film ausmacht. Brecht'sche Verfremdungseffekte am laufenden Meter, ein unablässiges sub- und meta-, intra- und inter-textuelles Verweisspiel. Godard bricht ständig mit der Illusionserzeugung, um durch den Bruch hindurch, Fetzen von Realität sichtbar zu machen. Der - immer wieder absolut hinreißende - Nonsense-Humor will gerade keinen comic relief, sondern entstellt durch Überzeichnung zur Kenntlichkeit. Gerade so gelangt Une femme est une femme zu größerer Wahrhaftigkeit in der Darstellung des alltäglichen Irrsinns zwischenmenschlicher Beziehungen, als hundert "ernstere", einem herkömmlichen Realismus-Konzept verpflichetete, Liebesfilme. Schon der Plot: Angela will ein Kind, Émile nicht, Alfred, Émiles bester Freund, soll aushelfen - und zeigt sich dazu allzu gerne bereit. Filmhistorischer Verweis, eine Geschichte wie von Ernst Lubitsch einerseits (Lubitsch heißt dann auch Alfred mit Nachnamen). Andererseits kennen die Konstellation eines zur Besessenheit ausartenden Kinderwunsches einer Frau und die Bedenken des Mannes wohl viele Menschen, nun, ich zumindest, aus dem richtigen Leben. Der Reality-Touch.


 Godard bezeichnet seinen dritten Langfilm, gedreht in Farbe und Cinemscope, als "neorealistisches Musical, also einen Widerspruch in sich". Widersprüche werden hier jedoch immer nur sichtbar gemacht, nicht aufgelöst. Etwa in einer Szene zu Beginn: Im Gespräch mit Belmondo legt Karina plötzlich unvermittelt einen Tanz hin: "Ich möchte in einer Musical-Komödie sein. Mit Cyd Charisse und Gene Kelly. Choreographie: Bob Fosse." Die heruntergekommenen Gassen, die Kulissen ihrer Step-Nummer sind (jede Einstellung ein anderes set), konterkarieren das Postkarten-Paris, das ein beliebter Schauplatz im Hollywood-Film der Fünfziger war. Und doch: offensichtlich auch eine sehr liebevolle Hommage. Echte "Nostalgie nach dem Musical" (Godard), dessen strikter Anti-Realimsus in seiner ursprünglichen Form keine Option mehr ist. Schade. Als Entschädigung: Der Regisseur als Zauberer, der in einem Fort seine eigenen Tricks verrät, aber doch nie die Magie des Kinos. Der Film, der als Spiel mit offenen Karten einfach immer weiter läuft. Ein verspielter und bezaubernder Film. Einer, über den man Doktorarbeiten schreiben, den man aber auch - und das unterscheidet ihn wohl recht grundlegend von anderen Werken des Regisseurs - einfach genießen und herzhaft über ihn lachen kann. Oder, wie es Émile gegen Ende sagt: "Ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist, weiß ich selbst nicht, aber sicherlich: Ein Meisterwerk."


Zwei Nachträge, die nicht mehr in den Text passten:
Die Vefremdungseffekte des Films finden auch - und nicht zuletzt - auf der Tonspur statt. Mal wird das Geschehen mit Chansons überorchestriert, dann wieder reiner Original-Ton, dazwischen oft eine Art "akustischer Jump Cut". Besonders toll: in einer Szene läuft Karina durch eine belebte Straße, dabei werden alle Umgebungsgeräusche ausgeblendet, zu hören sind lediglich ihre Schritte. Sie ist damit doppelt markiert und isoliert: durch den Ton und durch ihre leuchtend rote Bluse und die gleichfarbigen Socken im Grau des Quartiers Saint-Denis.

Zum Schluss noch ein Zitat von J. Hoberman im Essay zur Veröffentlichung des Films im Rahmen der Criterion Collection, das den Gender-Aspekt des Films und besonders seine Konstruktion von Weiblichkeit beschreibt: "Seen today, what’s fascinating [in Une femme est une femme] is how much social awareness Godard brings to the notion of “heterosexual love.” With her masklike makeup and bouffant hairdo, Karina is a total construction. This stubborn, graceful creature is not only the world’s most demure stripper but merely the idea of a woman—or, at least, Godard’s idea of one."

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