Montag, 4. November 2013

A Simple Plan (Sam Raimi, USA 1998)


Was würdest Du tun, wenn Du im Wald einen Schatz finden würdest? Es empfiehlt sich tatsächlich, eine Kritik zu diesem Film mit einer derart plakativen Frage zu beginnen. Denn die Frage, "was tun in einer bestimmten Situation", das Treffen von Entscheidungen als Grundlage aller Moral, wird nicht nur in einem Großteil der Dialoge von A Simple Plan verhandelt, der Film selbst tritt mit dem Zuschauer - weit über die bloße Identifikation mit den Figuren hinaus - in einen Dialog: "Was würdest Du tun, wenn...?" (Und, ja, dieser Film duzt uns, euch, Sie...)
Grundsätzlich abgerechnet wird dabei zunächst mit der Vorstellung, dass es schön ist einen Schatz im Wald zu finden, dass die Entscheidungen, die in Folge eines solchen Fundes getroffen werden müssen, sonderlich angenehm wären. So weit, so einfach. Wenn A Simple Plan das plakative und didaktische Lehrstück wäre, nach dem es sich bisher anhört, gäbe es eigentlich hier nicht mehr zu sagen. Warum dieser düstere tighte Thriller genau das nicht ist, bedarf dann allerdings einiger Erklärungen.
Diejenigen, die hier finden, ohne gesucht zu haben, sind der Buchhalter Hank (Bill Paxton), sein arbeitsloser Bruder Jacob (Billy Bob Thronton) und dessen ebenfalls arbeitsloser Kumpel Lou (Brent Briscoe). Bei einem Ausflug entdecken sie in den verschneiten Wäldern in der Nähe der Kleinstadt, in der sie leben, ein abgestürztes Klein-Flugzeug, in dem sich außer dem toten Piloten eine Tasche mit 4,4 Millionen Dollar befindet. Während Hank den Fund zunächst der Polizei melden möchte, willigt er schließlich in den Plan der anderen beiden ein, es zu behalten, allerdings unter der Vorrausetzung, dass es zunächst bei ihm verwahrt und nicht angerührt wird, bis sich im Frühjahr das Geheimnis um das Flugzeug klärt. Der Streit um die Aufbewahrung des Geldes, die Bemühungen, den Fund zu vertuschen und schließlich das Auftauchen des früheren Besitzers zeitigen bald nicht nur immer kompliziertere, sondern auch immer blutigere Verwicklungen.
Sam Raimi ist ein postmoderner auteur. Damit meine ich nicht so sehr die nerdigen Wiedererkennungswerte, die sein Werk durchziehen: das gelbe Oldsmobile Delta 88, das in jedem seiner Filme, auch, als Kutsche "verkleidet", in The Quick and the Dead, zu sehen ist oder die Cameos von Bruce Campbell, der als Ash in The Evil Dead zur Kultfigur wurde, und anderen Darstellern. Viel wichtiger erscheint mir das Raimi, bei aller Lust am Zurschaustellen der mannigfachen Bezüge, immer zu einem sehr eigenen Umgang mit seinem Material findet. In den Evil Dead-Filmen ist das eine in ihrer Form relativ einzigartige Verbindung von Splatter und Slapstick, Körper-Horror und Körper-Komik. Darkman schließt daran einerseits an, scheint andereseits in der gleichen düster-futuristischen Großstadtwelt zu spielen, wie etwa Robocop (zu dem sich auch en detail einige Parallelen finden lassen). Allerdings konterkariert Raimi Verhoevens sarkastischen Zynismus mit einem feierlich ernsten, ziemlich grimmigen Pathos. (Zur Art wie The Quick and the Dead mit dem (Italo-)Western umgeht, siehe meinen Text zu diesem Film.) In A Simple Plan schließlich erinnert wohl kaum zufällig vieles an Fargo: der tiefe, die fast monochromen Farben aller Außenaufnahmen bestimmende Schnee, die immer mehr Leichen fordernden Intrigen, in deren Zentrum eine große Menge Geld steht (die sich auch hier schließlich als Lösegeld in einer Entführung herausstellen wird). Allerdings entsteht der Determinismus bei Raimi gerade nicht aus einer (bösen) göttlichen Erzählinstanz, die die Figuren unausweichlich in ihren Untergang leitet, es sind ihre eigenen Entscheidungen, durch die sie sich immer mehr in Schuld verstricken, immer tiefer in die Tragödie schlittern. Der Bezug zu den Coens stellt sich - zumindest teilweise - als falsche Fährte heraus, wie so vieles in diesem Film. Das beginnt mit dem Titel und den Bildern des Vorspanns. Zunächst Krähen im Schnee, dann ein Fuchs, der ein Huhn reißt. Dieser Fuchs wird den dreien vors Auto laufen, was sie schließlich zu dem Flugzeug führt, das durch einen von Lou geworfenen Schneeball freigelegt wird. Hinter dem Fuchs und dem Schneeball, der die Lawine der Ereignisse auslöst, mit der später auch immer mehr Leichen in den Schnee purzeln werden, steht aber eben nicht das Mahlen einer übermächtigen Schicksalsmühle. Sie sind reine plot devices in einem Film, dessen Tragik nicht von außen über die Figuren kommt, sondern von innen, als Ergebnis ihrer eigenen Handlungen.
Die Figuren sind dicht am Stereotyp, dass sie jedoch nie in diesem aufgehen, nie bloß Zitat oder Karikatur sind, ist entscheidend. Jacob sieht aus, redet und benimmt sich - zumindest zu Beginn - wie ein Comic-Hillbilly. Gerade er wird im weiteren Verlauf jedoch zur tragischsten Figur, zum moralischen Zentrum des Films. Hank hingegen, der sich, ganz in Suburbia angekommen, für seine Herkunft von einer Farm, und ein bisschen auch für seinen Bruder, dem man diese immer noch ansieht, schämt, handelt immer kaltblütiger und zeigt immer größere Kreativität in der Verschleierung der Wahrheit, im Herrichten von Tatorten. Der Psychopath hinter glitzernder oder kleinbürgerlicher Fassade, an dem in Film und Literatur in den USA in den Neunzigern wahrlich kein Mangel herrscht, ist er aber gerade nicht. Auch seine - am Anfang des Films hochschwangere - Frau Sarah (Bridget Fonda), die immer fleißiger und gewissenloser mitintrigiert und dabei den einen oder anderen fatalen Rat gibt, ist nicht einfach eine femme fatale. Raimi bleibt nicht nur dicht an diesen Figuren und ihren Konflikten, er verweigert auch dem Zuschauer jede Art der Distanzierung zu ihnen. Eine übergeordnete moralische Instanz, einen Standpunkt, auf den man sich sicher zurückziehen könnte, gibt es hier nicht. Am nächsten kommt man diesem vielleicht mit Jacob, der sich in seiner Zerrissenheit zunehmend zum kollektiven schlechten Gewissen des Figurenemsembles entwickelt, aber dadurch doch nur immer hilfloser wird.
Raimi und sein Drehbuchautor Scott B. Smith nehmen das Glücksversprechen des Geldes schonungslos auseinander. Statt einem sorgenfreien Leben bekommen die Figuren schlaflose Nächte. Die Angst davor es zu verlieren, die Intrigen, es zu schützen, überschatten bald alles für Sarah und Hank. Sogar die Geburt ihres ersten Kindes. In einem der besten Plotpoints des Films entpuppt sich als lebensretende Vorsicht, was man zuvor für schiere Paranoia hielt. 
Doch A Simple Plan hat wesentlich mehr zu bieten als die - letztlich triviale - Botschaft: money can't buy you happiness. Einerseits ist Raimi mit einem seiner actionärmsten, zugleich einer seiner spannungsreichsten Werke gelungen. Die intra- und intertextuellen Bezüge, die ausartende Stilisierung und den grotesken Comic-Humor gibt es auch hier durchaus. Sie treten aber zurück hinter eine, im besten Sinne des Wortes, altmodische Besinnung auf Plot und Figuren, die nicht zuletzt durch das wunderbare Schauspieler-Ensemble gelingt. Andererseits und darüber hinaus ist die soziale Hermetik des geschilderten Milieus entscheidend, die ihren Ausdruck darin findet, was die Figuren eigentlich mit dem vielen Geld vorhaben. Hank und Sarah wollen einfach ihren sozialen Status sichern, ohne auf zermürbende Lohnarbeit angewiesen zu sein. Lou will seine Sauf- und Spielschulden begleichen. Jacob ist, einmal mehr, die komplexeste Figur. In einer rührenden Szene gesteht er seinem Bruder seine absolute sexuelle Unerfahrenheit. Das Geld soll es ihm ermöglichen, eine Familie zu gründen, normal zu sein. Das Erschütternde daran ist nicht die Selbstverständlichkeit mit der er den Warencharakter amouröser Beziehungen voraussetzt, sondern das absolute Diktat der Norm. Ein Jenseits zum kleinbürgerlichen American Way of Life existiert hier nicht einmal mehr in Form großer Träume. Die Tragödie, von der A Simple Plan erzählt, ist weder "natürlich" noch gottgegeben, sie ist systemimmanent.


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