Mittwoch, 24. Juli 2013

Kurz gesehen

   (Wolf Gremm, BRD 1982)

Zumindest was die Zutaten anbelangt ein hervorragender bundesdeutscher Frühachtziger Jahre Cocktail. Man nehme Unmengen von Sleaze und Camp und Rainer Werner Fassbinder (übrigens in seiner letzten Rolle als Schauspieler) sowie einige seiner Stammschauspieler (Günther Kaufmann, Brigitte Mira), gebe das Ganze in einen dystopischen Uberwachsungsstaats-Sci-Fi-Plot, geschüttelt, nicht gerührt und fertig! Schade nur, dass sich die einzelnen Zutaten nicht wirklich vermengen wollen, sondern sich eher gegenseitig behindern. So macht der Genuss über gut 100 Minuten Laufzeit eher schläfrig als die Augen zu öffnen oder das Bewusstsein zu ficken. Was Wolf Gremm hier versucht hat, ist ihm wohl nicht wirklich gelungen. Allein die Tatsache, dass er es versucht hat, verdient jedoch Respekt.

 

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Nochmal Fassbinder. Diesmal auch hinter der Kamera. Diesmal im Auto mit Karl Scheydt, dem amerikanischen Soldat im gleichnamigen Film, der zurückgekommen ist nach München.
"Wo fährst du hin?" fragt Fassbinder.
"In unsere Gegend."
"Wie war's in Vietnam?"
"Laut."
"Hier hat sich nichts verändert."
"In Deutschland verändert sich nie etwas."

Schließlich kommen die beiden Männer auf dem Hof an, in dem sie aufgewachsen sind. Sie öffnen Bierdosen, die sie weit vorm Körper halten, um ihre weißen Anzüge nicht zu beschmutzen (wunderbar, wie schmierig Fassbinder hier outriert, alleine sein Gang!) Ein Kreis schließt sich und die Kamera beschreibt eine Kreisbewegung, ein 360°-Schwenk entlang der grauen Hinterhoffassade. "Hier hat sich nichts verändert," kommentiert Scheydt. "Man muss sich mal vorstellen: Hier habe ich also Vierzehn Jahre lang gelebt." Sie stehen nun in der Mitte des Hofes. Eine ältere Frau, die den Müll rausbringt, kommt zu den beiden Männern, begrüßt sie mit übertriebener Höflichkeit, bestellt Grüße an "die liebe Frau Mutter". Als die beiden Männer den Hof verlassen, schaut die Frau ihnen lange argwöhnisch nach. Wenn die absolute Starre der Verhältnisse in der Bundesrepublik in den späten Sechzigern, die Fassbinder in seinen ersten Filmen mit starren Bildern von starren Gesichtern und Figurenkonstellationen abzubilden versucht, an anderen Stellen immer wieder in unvermittelten und konsequenzlosen Gewaltausbrüchen explodiert, erfährt sie hier in diesem Hof ihre eine Implosion. Die Titelfigur ist angekommen im Kern des Films, ja, vielleicht des gesamten Fassbinder'schen Frühwerks, nur um festzustellen, dass es hier nichts zu sehen gibt, dass Zurückkehren eben so wenig eine Lösung ist wie es das Weggehen vorher war. Leere. Das Absurde daran, die Ironie, die durch das bloße Zusammentreffen von "amerikanischem" Gangster-Schick und bundesdeutscher Spießbürgerlichkeit entsteht, kann über diese Leere kaum hinwegtäuschen.
 
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Schon überraschend, dass man einen Film, in dem Oralsex das Hauptgesprächsthema ist, so bieder, gefällig, ja, spießig inszenieren kann. Alle Transgression bleibt hier pure - und geradezu dreiste - Behauptung. Auch wenn man Almodóvars Bemühungen, zu seinen campig-queeren Anfängen als Bürgerschreck in der movida madrilena zurück zu kehren, von vornherein für keine gute Idee hielt, überrascht doch, wie sehr dieser Flugzeugfilm eine Bruchlandung hinlegt. Positive Überraschungen bleiben hingegen aus. Recht komisch ist das feuchtfröhlich tuntige Treiben in den Wolken immer mal wieder durchaus. Allerdings: über sexuelle Plattitüden und Klischees, lache ich dann doch lieber in Hangover. Ist irgendwie ehrlicher.
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Laid to Rest (Robert Hall, USA 2009)
Ein Killer mit silberner Maske und überproportinoiertem verchromtem Jagdmesser, das durch Körper und - am liebsten - Gesichter schneidet als ob sie Butter wären. Ein blutrünstiger Slasher, weitestgehend gesichts- und seelenlos - wie der Killer, der eine alte, schon in den Achtzigern in Belanglosigkeit erstarrte Genre-Schablone mit allerlei neuen Technologien aufzupeppeln versucht. (Im Vorspann hat mich die mediale Selbstreflexivität in ihrer Aufdringlichkeit so genervt, dass ich nach etwa dreißig Sekunden ausschalten wollte.) Der Killer zeichnet seine Taten per auf der Schulter angebrachter Kamera auf. Navigationsysteme helfen nicht bei der Flucht. Der Notruf von FBI und Polizei ist per e-mail erreichbar - oder auch nicht. SMS werden verschickt, Handy-Passwörter gesucht - beides vergeblich. Am Ende dann, als alles schon vorbei ist, die Nachricht an die Polizei. Analog. Handgeschrieben. Vielleicht ziemlich reaktionär, das Ganze, in jedem Fall ziemlich dämlich. Irgendwas mit Medien - und Blut und Gekröse. Nur Was?
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Wes Cravens The Hills have Eyes von 1977 ist ein kleines aber gemeines und weitgehend verkanntes Meisterwerk. Am Ende gewinnen die "Guten", die bürgerliche Kleinfamilie also bzw. das was von ihr übrig ist gegen die "Bösen", die aussehen, wie eine sehr bezeichnenende Mischung aus Höhlenmenschen, "degenerierten" Rednecks und Indianern. Nur sind in der Orwell'schen Volte der letzten Einstellung dann eben "Zivilisierte" und "Barbaren", Ich und Es beim besten Willen nicht mehr zu unterscheiden. Die Grenzen verschwinden in haßverzerrtem Gesicht, Blutrausch und Rotblende. Das Verdängte ist vollends zurück gekehrt, nicht im Außen, in den Hügeln, die Augen haben, sondern im Innen, in der Seele des amerikanischen Kleinbürgers.
 
 Alexandre Ajas Remake übrigens, knapp drei Jahrzehnte später entstanden, zieht vor dem blanken Nihllismus der Vorlage in letzter Sekunde dann doch den Schwanz ein. Hier darf die Familie anständig triumphieren und bleibt in einer letzten Volte, die, gelinde gesagt, weder sonderlich überraschend noch allzu clever ist, unter beständiger Bedrohung. Trotzdem: in der nicht abreißenden Serie von Remakes von Horrorfilmen der Siebziger und Achtziger sicherlich einer der gelungeneren Vertreter, dessen intensiver Körperhorror und düstere und schmutzige Atmosphäre retrospektiv betrachtet wohl einiges dazu beigetragen haben, dass amerikanische Horrorfilme heute so aussehen, wie sie aussehen. Hier habe ich schon mal ausfürlicher über den Film geschrieben.

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Zum Schluss: Ein Dialog aus einem John Ford-Kavallerie-Western:
"Have you ever been in love?"
"No, I've been a bartender all my life."
Und, zum letzten Mal, Fassbinder: Am Ende seines frühen Kurzfilms Das kleine Chaos antwortet er auf die Frage, was er mit seinem Anteil aus einem Raubüberfall machen wird:
"Ich... ich geh' ins Kino."
In diesem Sinne...

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